(Erstveröffentlichung: August 2010)

Über ein Jahrzehnt ist vergangen, seit die erste BLUE erschien. ASP-Worldchamp damals: Marc Occhilupo. Ist wohl wirklich eine Weile her... Ja, die Zeiten haben sich geändert. Mittlerweile wird sogar in Deutschland auf einem respektablen Niveau gesurft: Auf Sylt, in der Ostsee und in den Flüssen gibt es einige Standouts, die richtig rippen.

Es dauerte eine Weile, bis auch die Nicht-Sylter endlich checkten, was für saftige Äpfel im eigenen Garten hängen. Um diese zu ernten, braucht man allerdings die richtige Ausrüstung, sprich: das passende Brett. Und da ist die Auswahl heute so groß, wie nie zuvor. Seit der Erfindung des Thrusters gab es nicht mehr soviel Bewegung im Boardbau, wie in den vergangenen zehn Jahren.

Retro Shapes Bluemag Feature
Völlig unberührt von der Diskussion um die Vor- und Nachteile einer ordentlichen Portion Schaum bleibt die Tatsache, dass Retroboards einfach verdammt gut aussehen.

Der Beginn der Retro-Ära

Die Shaper begannen kurz vor dem Jahrtausendwechsel, sich an den Fähigkeiten ihrer Durchschnitts-Kunden zu orientieren. Sie gedachten der alten Formel: "Volumen = Glide = Spaß" und erweiterten ihr Angebot um sehr viel Schaum – schon war der Retro-Trend geboren. Zuerst zeigte er sich im Comeback des Longboards, das durch Joel Tudor wieder salonfähig wurde. Doch Tudor oder Rob Machado sah man immer häufiger auch auf komischen Gefährten rippen, die kaum ein Kind der Neunziger zuvor erblicken durfte. Sie hatten eine, zwei, vier oder sogar fünf Finnen und waren ganz sicher: dick.

Ich sah dicke Boards immer wieder auf Sylt im Wasser und wollte auch so was haben. Also klapperte ich in Frankreich die Shops ab, bis ich ein Retro-Quad in den Händen hielt: 5’10“ x 21“ x 2 5/8. Meine erste Welle darauf war sick: Das Ding ist GEFLOGEN. Danach stand ich im Sand von Hossegor und dachte, mir wäre der heilige Geist erschienen. Es gab zwei Möglichkeiten, das Erlebte zu interpretieren: Entweder surfte ich viel besser als bisher gedacht und der Fish brachte das endlich ans Tageslicht. Oder ich war ein Betrüger.

Ich entschied mich für die erste Antwort. Wie ein Wiedergeborener predigte ich nun allen das Wort des Herrn: „Kauft euch was Dickes! Am besten mit vier Finnen, das fährt sich wie auf Schienen!“ 

In den nächsten Jahren probierte ich neben dem Quad auch voluminöse Twinnies oder Thruster mit kleiner Trailerfinne aus. Die Bretter wurden kürzer, etwas schmaler, dicker. In vier Jahren besaß ich sechs verschiedene Fish-Shapes, während die Shortboards in der Ecke vergilbten. Mitte 2000 gab es kaum noch jemanden, der seinen Quiver auf Shortboards beschränkte. Weil man nicht viel Technik braucht, um Retro-Boards zum Gleiten zu bringen, ermöglichten sie erst den Boom, den wir in unseren heimischen Gewässern erleben. Doch die Dinger haben einen großen Nachteil – sie machen süchtig.

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Jonas Bronnert Retro Shapes
So vertikal wie Jonas Bronnert hier sein Shortboard tritt, ist ein Fish nur sehr schwer zu surfen. Da ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass man die waagerechte Route down the line wählt.

Viel Schaum = weniger Skills

Musste ich mich auf Reisen nun für ein Brett entscheiden, so viel die Wahl leicht. Mit meinem Fish hatte ich immer Spaß. Meine Freunde hatte ich bekehrt, wir waren eine Armada der Retro-Traveller. Doch das sollte sich ändern.

Eines Morgens wachte ich in der Bretagne auf und mein Magic-Quad war vom Dach geschnitten. Weg. Da stand ich nun mit meinem Backup-Stick, das schon lange nicht mehr nass geworden war. Ich paddelte raus. Yport lief gleichmäßig und lang. Am Abend vorher hatte ich auf jeder Welle vier Roundhouses auf der sanft abfallenden Schulter gemacht. Nun pumpte ich auf der schmalen Planke vom Takeoff bis zum Ende, um überhaupt zu gleiten. War ich doch ein Betrüger?

Zumindest war ich wieder in der Realität angelangt. Speed durch das Verlinken von Manövern zu generieren ist die hohe Schule des Surfens, jedenfalls in unseren Breitengraden. Der Fish gaukelt einem diese Skills vor, dabei übernimmt sein riesiges Volumen einen Großteil der Arbeit. Anstatt ständig die Pocket suchen zu müssen, kann man auf diesen Flößen auch die Schulter abreiten, ohne zu versacken. Der Nachteil liegt auf der Hand: Snaps, für die man den steilsten Teil der Welle und eine Lippe braucht, lernt man so nicht. Wenn Top-to-Bottom-Surfen das Ziel ist, kommt man um die harte Schule nicht herum. Ich habe gemerkt, dass sich auf dem Fish mein ganzer Blick für die Welle ändert: Meistens vermeide ich die Pocket.

Ken Hake Fish Barrel
Wer es drauf hat, der rippt natürlich auf jedem Brett. Ken Hake auf einem 5'8" Fish während des Six in the Mix 2009 - deeper than Atlantis. 

Nun ist das ja alles egal, so lange man Spaß hat. Und wer einfach nur den Glide genießen will, der ist mit dem Fish und anderen Retroshapes sowieso gut beraten. Doch eventuell muss man sich mal wieder überwinden und das verstaubte Shortboard rausholen – auch in der Nordsee. Dann kommt die Erinnerung zurück, wie nah man der Welle sein kann, wie agil man unterwegs sein muss – und dass einen dieser Einsatz weiterbringt. Wenn man dann hin und wieder mal ein Twinnie fährt, ist der Spaß umso größer.

Seit einem halben Jahr versuche ich, auf Fishboards zu verzichten, wenn ich die Wahl hab. Es geht. Natürlich werden Fehler schneller bestraft. Aber es fühlt sich ehrlicher an...

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Credits
Fotos: Tom Riedel