In einem früheren Text hatte ich gemutmaßt, Gabriel Medina sei in Wahrheit Fußballer. Das stimmt nicht: Er ist Formel-1-Pilot. Im Team Brasilia. Denn anders als die meisten seiner Konkurrenten, hatte Medina im Saisonfinale auf der anspruchsvollen Strecke Banzai Pipeline ein ganzes Team hinter sich: Teamkollegen wie Felipe Toledo, die für ihren Star die Angriffe abblocken. Teamchef Charly, der ihm aus dem Hauptquartier am Strand die Strategiewechsel anzeigt. Teamreporter, die mit gefühligen Live-Meldungen aus dem Fahrerlager die Euphorie der Fans anheizen. Und Konkurrenten, die sich selbst aus dem Rennen nehmen - entweder per Dreher, wie Kelly, der trotz Top-Leistung ausfiel, oder per Frontalcrash in die Mauer - wie Mick, der mit 2.84 Punkten in Round 5 aus dem komplett zerstörten Cockpit stieg.

Medina Hl

 

Left Side Arrow Right Side Arrow

Sobald Backdoor wie ein Close out aussah, kam John John angeflogen und poppte am Ende des Tunnels raus. Obwohl JJF im Quarter rausflog, gehört seine Show in Round 1+3 zu den Highlights des Contests. 

Foto: ASP

Das Rennen im Überblick:

Von der Pole-Position führte Medina die Top 34 in die erste Kurve. Und während die Fachwelt noch rätselte, ob sein Team denn die richtigen Regenreifen aufziehen könne, sollte es die für ihn unvorteilhaften Backdoor-Barrels hageln (wonach es laut Forecast aussah), schnappte er sich mit einer links-rechts-Kombination von 8.83 Punkten den Sieg. Unspektakulär, aber ohne größere Fehler. 

Kelly dagegen wurde durch ein waghalsiges Überholmanöver Adam Mellings in letzter Sekunde von der Strecke gekickt. Er fightete sich in der zweiten Runde mit der besten Barrel des Contests zurück ins Geschehen.

Sein Showdown stand für Runde drei an: Sollte Medina diese überstehen, war Kelly aus dem Rennen. Schützenhilfe erhoffte sich Kelly von Dusty Payne, dem noch der Triple-Crown-Titel winkte. Doch Dusty wurde gleich von drei Wagen des Teams Brasilia in die Zange genommen: Felipe Toledo und Miguel Pupo, die ebenfalls im Wasser waren und dank des overlapping Heat Formats Priority hatten, ließen Medina unbehelligt seine wichtige Backup-Welle nehmen, eine 5.83. Mit fast 15 Punkten nach fünf Minuten schaukelte Gabe den Sieg easy nach Hause. Kelly war raus.

Nun musste nur noch Mick abgehängt werden. Man erwartete ein Kopf-an-Kopf-Rennen dieser zwei Contest-Maschinen, doch es kam anders. Während Gabby mit solidem Surfen ins Quarterfinal einzog, hatte Mick in Round 4 eine Reifenpanne (6.47 Punkte) und in Round 5 einen Voll-Crash mit Motorschaden: 2.84 Punkte kratzte er in einem low-scoring-Heat gegen Alejo Muniz zusammen - der damit als Medinas Königsmacher für alle Zeiten einen Ehrenplatz im Team Brasilia innehat (auch wenn die Formel-1-Karriere für ihn leider vorbei ist).

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Es folgte eine orgiastische WM-Feier noch während Medinas Heat, der auf Micks Ausscheiden folgte. Gabriel paddelte zurück an den Strand, ließ sich auf den Schultern zum Podium und wieder zurück tragen und drehte dann eine Ehrenrunde im Wasser, während der er den Teamkollegen Toledo noch überholte und sodann Josh Kerr abfertigte.

Völlig unbemerkt versengte währenddessen Julian Wilson seine Mates Kai Otton und Ace Buchan in Quarter und Semi und stand auf einmal im Finale der Pipe Masters und damit auch der Triple Crown, die ihm beim Pipe-Sieg on top gehörte. Ein verrücktes Ende von Julians Seuchenjahr, in dem er tatsächlich bis zum Schluss um die Re-Qualifikation zittern musste. 

Zum Showdown drehten auch die Wellen noch mal richtig auf und so wurde das Finale ein fröhlicher Shootout, an dessen Ende Julian triumphierte - was Gabby diesmal ziemlich egal war. Denn zum ersten Mal in der Geschichte des Sports ging der WCT Weltmeister-Titel an das Team Brasilia!

 

Dass dieses Team von den Etablierten als stilloser Emporkömmling gesehen wird, ist dem neuen Champ bewusst.

In einem Interview nach dem Contest in Frankreich sagte er mir: "Eigentlich wünschen sich alle Surfer, dass Kelly Slater endlich von seinem Thron gestoßen wird. Seit 20 Jahren sieht man immer nur Kelly, Kelly, Kelly - das ist langweilig. Wir brauchen eine Wachablösung. Und die bin ich. Sie sollten mir dankbar sein, doch die Nationen, die bisher die Weltmeisterschaften unter sich ausgemacht haben, wollen nun mal keinen brasilianischen Champ sehen." 

Ob dieses Lagerdenken beider Seiten in der Zukunft überwunden werden kann, wird sowohl an Team Brasilias Sportsmanship als auch an der Offenheit der Australier und Amerikaner gegenüber anderen Kulturen liegen. Amen.

 

Rund um das Saisonfinale gab es natürlich auch wieder diverse Dramen, wie sie sich nur in der düsteren, mythenumrankten, überhitzten Welt der Northshore abspielen können, diesem winzigen Parallel-Universum, das jedes Jahr sechs Wochen lang von der restlichen Surfwelt per Livestream beäugt wird: 

 

1. Eddie Rothman rastete aus, weil es nur noch zwei statt 16 Local-Wildcards gab. Vor dem Contest schlug dieses Video von Fast Eddie, Mitbegründer der Da Hui, Wellen. Die Organisatoren reagierten nicht, worauf Da Hui die ASP wegen der auf Hawai'i unzulässigen Man-on-Man-Heats der Pipe Masters verklagte. Hmm, kann das nicht lieber per Schlammcatch-Match zwischen Eddie und ASP-Boss Paul Speaker entschieden werden?

 

2. Bruce Irons rastete aus, weil er keinen Startplatz in eben diesen Pipe-Trials bekam. In einem Instagram Post, den er einen Tag später löschte, schrieb Bruce: "Today is one of the lowest days of my surfing career because Billabong told me that that there is no room for me in their contest which is in memory of my brother who is on every post, every T-shirt, every hat and every banner for this contest. Today I lost all respect for Billabong. I guarantee you my brother would be very disappointed in the decision Billabong has made especially after how much money my brother brought this company along with three world titles." Da ist was dran.

 

3. Die Internet-Welt rastete aus, weil ASP Comissioner Kieren Perrow einen extrem unglücklichen Call machte. Als Perrow um 14 Uhr kurz vor dem Ende von Round 2 den Stecker zog, war Pipe eine einzige Waschmaschine. Zehn Minuten später drehte der Wind, der Sand schob sich zurecht und es folgten die zwei besten Pipe-Stunden des bisherigen Winters. Es wurde sogar gemutmaßt, dass KP den Contest stoppte, um selbst Third reef Pipe chargen zu können, hahahahahahha! Top!

 

4. Alle Surf Mags (außer unserem) rasteten aus, nur weil Noa Dean "Fuck the WSL" live in die Kamera gröhlte. Und zwar während der immer holpriger, langweiliger, peinlicher werdenden Surfer Poll Awards. Na und? 

 

- Jens Steffenhagen