Odyssee wider Willen (Inspired by true events)

Mai 2015. Der Forecast nahm den Mund mal wieder zu voll. Braune Brühe, statt dicke Dünung, sodass die Surfsession letztlich von der Nordsee gezwungenermaßen auf’s Internet verlegt wurde. Und wie es manchmal eben so ist, wurden wir vom Youtube-Vortex verschlungen und ließen uns von digitalen Tagträumereien berieseln. Mehrere hundert Megabyte später landeten wir bei einem Clip namens ,,Ghost Hotel Wave Machine’’. China Chronicles Wheels Speed

Dunkelgrünes Wasser, mieses Wetter und breite linke Barrels – begleitet von einem nicht minder breiten australischen Live-Kommentar. Und dann auch noch über Sand! Nur wo?  Riyue Bay? Nie gehört! Mit zunehmender Faszination googleten wir uns durch sämtliche Foren, verglichen Windkarten und tourten online die Küste Hainans rauf und runter. Es lebe der Fortschritt: Keine Stunde später hatten wir, was wir brauchten. Ab Dezember trichtern regelmäßig Groundswells durch den relativ schmalen Spalt zwischen Taiwan und den Phillipen. Kalender gecheckt, Basti alarmiert, Entscheidung getroffen!

Ein Monat China. Auf gut Glück.

2 Monate später saß ich im Empfangsraum der chinesischen Visumsbehörde – einer interessanten Mischung aus Weltraumbahnhof und Notaufnahme. Ich wurde gebeten, ein Ticket zu ziehen und mich hinten anzustellen. ,,Sie sind Nummer 224E.’’. Ich nahm am unteren Ende einer fußballfeldgroßen Ansammlung aus Stühlen Platz. Außer mir, den 15 Beamten hinter den Schaltern und einem riesigen Ölgemälde Maos war das Visums-Amphitheater menschenleer. Während ich versuchte, mittels Augenkontakt die Wartezeit zu verkürzen, stierten die emsigen Arbeiter in undefinierbare Ferne. Das ging knappe 40 Minuten so weiter, bis mich eine Stimme aus den Lautsprechern anschrie: NUMMER ZWEIHUNDERTVIERUNDZWANZIG EEEEH! Es folgte ein ziemlich nervenaufreibendes Kreuzverhör, mit zwei überaus borstigen Bürokraten. Was wir denn einen Monat in Riyue Bay wollten. Ferien mache man in Sanya. Surfen? Was soll das sein?! Ah, World Longboard Championships – Dafür brauchen Sie ein anderes Visum, fahren Sie nach Berlin. Vor meinem inneren Auge sah ich es schon kommen: Die Flugtickets waren gebucht, der Kontakt mit Blair Li vom Surf Club Hainan stand. Ich hatte Schiss, es hier und jetzt zu versauen. Dementsprechend groß war die Genugtuung, als ich mit unterschriebenem Wisch das Gebäude verließ.

Abflug: Auf in fremde Welten

10. Dezember 2015. Wir wurden aus einem unruhigen Schlaf geweckt: ,,Landeanflug Schanghai in 2 Stunden. Zeit für Tai-Chi!’’ Aus den winzigen Bord-Entertainment Screens flimmerte uns ein grinsender Kung-Fu Meister entgegen. Links und Rechts von uns wurden anstandslos seine Anweisungen befolgt: Rechte Hacke nach vorne, Daumen anlegen, Zeigefinger hoch, liegende Acht mit den Ellenbogen, Chi fokussieren. Was?!

Anflug auf Schanghai. Recht neblig draußen. Mit etwas über einer Stunde Zeit im Gepäck begangen wir den Fehler, kurz ,,frische Luft’’ zu schnappen. Von wegen Nebel. Der Smog legte sich sofort auf Kleidung, Haut und Atemwege. Möglichweise waren wir so benebelt (bzw. versmogt), dass wir die Zeit aus den Augen verloren, denn gefühlte 5 Minuten später ertönte eine unheilvolle Ansage durch Terminal II: Letzter Aufruf für Flug FE97. ,,, das sind wir!!!’’ In neuer Bestzeit flitzten wir zum Flieger, schafften es gerade rechtzeitig - und überschritten unbemerkt die Schwelle zum vierwöchigen Kulturschock.

In der Sitzreihe hinter Matz inhalierte ein kleines Kind beeindruckende Mengen an neonfarbenen, beunruhigend leuchtenden Süßigkeiten und ließ die überschüssige Energie an allem aus, was nicht niet- und nagelfest war. Während der Vordermann also eine unfreiwillige Massage verpasst bekam, schrie der Chaos-Knirps aus voller Kehle eine Art Haribo-Mantra. Der unbeeindruckte Vormund steckte die Show locker weg und kapselte sich mit seinen schalldichten Bose-Kopfhörern ab (Das Honorar für diese Schleichwerbung spenden wir Shanghai-Airlines, die dringend neues Duct-Tape benötigt, um die Deckenbeleuchtung vernünftig zu befestigen). Zwei lange Stunden später landeten wir in Whenzou und wurden vom manischen Mob in einen Bus gespült, der uns in eine völlig überfüllte Wartehalle verfrachtete, wo wir mit Händen und Füßen unseren Platz in einer Schlange verteidigen mussten, an deren Ende 20 Minuten später derselbe Bus wartete und uns in den gleichen, baufälligen Flieger verfrachtete. Der Powerzwerg aus Reihe 38 knüpfte nahtlos an seine vorherige Darbietung an. Unsere Dankbarkeit für die Landung und die bevorstehende Entfernung von diesem 100 Dezibel-Dauerbrenner wurde etwas geschmälert, als wir erstmals Zeuge der rauen chinesischen Gangart wurden: Kaum berührten die Räder den Boden sprangen alle Insassen gleichzeitig auf und es entbrannte ein intensiver Kampf um die Vorherrschaft des mittleren Gangs. Als würde ein Schalter umgelegt, wechselten die Passagiere aus völliger Apathie in einen darwinistisch anmutenden Zustand, der sich im hitzigen Gefecht um das Handgepäck entlud. Bevor wir uns versahen, waren wir mitten im Getümmel und versuchten verzweifelt, zumindest die Stellung zu halten. Hätten wir zu diesem Zeitpunkt gewusst, was uns noch bevorstand, wären wir wahrscheinlich noch eine Weile im Flieger geblieben und hätten die relative Ruhe genossen.

Ankunft: So nah und doch so fern

Stattdessen stratzten wir dem entschlossenen Pulk hinterher in Richtung Visa Kontrolle. Der perplexe Staatsdiener ließ sich ordentlich Zeit mit unseren Reisedokumenten und nutzte die Chance, ein Selfie mit Bennis blond gelocktem biometrischen Passbild zu knipsen. Koffer und Bretter warteten erfreulicherweise bereits in der Empfangshalle auf uns, doch der Vorwärtsdrang wurde durch den Blick auf die Arrivals-Screens ausgebremst. Bastis Flieger aus Peking hatte 4,5 Stunden Verspätung. Wir schworen uns, die Wartezeit produktiv zu nutzen, sattelten die Bretter und begannen mit einer Schnitzeljagd nach einem funktionstüchtigen ATM. Die Taschen voller chinesischer Scheine ging es dann schnurstracks zum Meilan-Speedtrain – Tickets für später reservieren. Kennt jemand der werten Leserschaft das letzte Lava-Level aus Super Mario Bros? Die einsprachigen chinesischen Bahn-Automaten sind anspruchsvoller! Über die riesige LED-Anzeigetafel rasten im Rekordtempo verpixelte Chinesische Zeichen. Wir suchten nach etwas, das einem T mit Dach und Antenne glich und (hoffentlich) für die Stadt Wanning stand.

Mit Engelsgeduld und genügend Zeit im Gepäck kämpften Matz und ich uns bis zum Endgegner durch. Doch ob wir nun erfolgreich die vier Tickets von Haikou nach Wanning ausgewählt, oder an einer Umfrage zur idealen Konsistenz der Glasnudel teilgenommen hatten, tat nicht zur Sache – erstens konnten wir den Unterschied nicht feststellen und zweitens brauchte es für beides eine chinesische ID. So blieb uns nichts anderes übrig, als sich der recht dynamischen Gruppe an vermeintlichen Marktschreiern anzuschließen, die vor dem Ticketschalter anstanden. Positiv zu vermerken ist, dass wir keineswegs diskriminiert wurden und, als ebenbürtige Gegner eingestuft, genauso gnadenlos plattgerannt und übertönt wurden, wie alle anderen auch. Außerdem wird einem in chinesischen Warteschlangen nie langweilig, und allein das Ankommen am Schalter ist ein Erfolgserlebnis an sich. So tat es dann Ewigkeiten später auch nicht ganz so weh, dass die Frau an besagtem Schalter mit zwei Wörtern Englisch auskam: NO TICKET! Unser gesamtes phonetisches und pantomimisches Repertoire konnte an dieser endgültigen Aussage nichts ändern. Unverrichteter Dinge schleppten wir Boards und Bags wieder zum Terminal. Hier sammelten wir Basti ein und organisierten uns zudem noch einen Babysitter für den nächsten und letzten Anlauf, die Zugtickets zu ergattern. Wieder anstehen in der Meilan-Moshpit. Doch dieses Mal waren wir vorbereitet und eskortierten die zierliche Airport-Info Dame erfolgreich durch die wabernde Warteschlange zum Ticketschalter. Das Ergebnis: ,,NO TICKET!’’ Warum wüsste sie auch nicht genau, aber wir könnten auch ein Taxi nehmen. Also wurden wir am anderen Ende des Flughafen in einen Bus gesetzt, der uns zum Minjong-Hotel (oder so ähnlich) bringen sollte, wo die Taxi-Fahrer angeblich etwas milder gestimmt sein sollten.

Endstation Urwald?

,,Ok, ich bin mir ziemlich sicher, dass hier was nicht stimmt!’’. ,,Stell Dich nicht an Basti, das hier ist China – da klingen Busse eben so!’’ 100 Meter weiter, flog uns mit ordentlichem Knall das Busgetriebe um die Ohren. An dieser Stelle geht ein Dank an den kleinen Schreihals aus Reihe 38, der uns bereits im Flieger bestens vorbereitet hatte, sodass wir den Krach kaum noch registrierten. Dennoch standen wir nun, nachts um 1 mit 4 Koffern, 7 Brettern und 9 lokalen Leidensgenossen auf einer gut befahrenen, unbeleuchteten Autobahn in der südchinesischen Pampa und sahen dem Fahrer dabei zu, wie er in aller Seelenruhe die Getriebeteile von der Straße auflas. Ein anderer Bus hielt am Standstreifen, wir ließen uns nicht lange bitten, pfefferten das Gepäck in den Laderaum und fuhren los. Wohin war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ganz so wichtig.

In Downtown Haikou, einer chinesischen Kleinstadt (mit knapp 2 Millionen Einwohnern) wurden wir rausgeschmissen. Zwei Taxi-Fahrer simulierten Erbarmen. Mittels einer Übersetzer-App und einigen Screenshots wurde das Ziel ermittelt – Es lebe der Fortschritt! Zu diesem Zeitpunkt waren wir ca. 30 Stunden unterwegs und jenseits von Gut und Böse. Dennoch münzten wir die Verzweiflung mit dem übergebliebenen Humor in Entschlossenheit um. Die winzigen Taxis waren hoffnungslos überladen, lediglich eins von beiden hatte ein Navi, kommuniziert wurde via Walkie-Talkie. Der Preis war eine Frechheit und der Plan insgesamt ziemlich bescheuert, da sich die Fahrer im Großstadt-Getümmel alle 100 Meter aus den Augen verloren. Uns blieb nichts anderes übrig. Also los! 

Wir bremsten abrupt. Ich schreckte hoch. Das Walkie-Talkie gab ein unheilvolles, leeres Knistern von sich. Wie lange war ich weggetreten? Wo sind wir? Basti hatte keine Ahnung. Der Taxifahrer anscheinend auch nicht. Vor uns eine spärlich erleuchtete Schotterpiste. Um uns herum nichts als Urwald. Kurz nach 3 Uhr nachts. Mein Handy vibrierte. ,,Guys! Finally!!! (...) you ok? You (...) supposed to be here 8 hours ago!’’ ,,Blair, thank god! We’re in... we’re somewhere in the jungle. Talk to the damn driver, please!’’ Es folgte eine mehrstündige Live-Navigation der unermüdlichen Blair Li, die uns, wie auch immer, über die härteste Backcountry-Buckelpiste heil ans Ziel lotste.

Nach insgesamt 37 Stunden ,,on the Road’’ wälzten wir uns dankbar in die Empfangshalle des Nanhai-Hotels, wo man uns wortlos die Zimmerkarte in die Hand drückte. Es kann festgehalten werden: Nie zuvor hatte ich im Angesicht einer konstant beschissener werdenden Lage so viel Spaß. Eine ordentliche Prise Galgenhumor und die richtigen Reisebegleiter können es echt richten (Danke Basti, Benni & Matz!). Außerdem konnte es nach der Nummer doch nur noch Berg hinaufgehen, oder? .... ODER?!

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Stay tuned to find out :)

Zàijiàn, 

Euer Jan. 

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China Southern. Frankfurt - Shanghai. Die Ruhe vor dem Sturm...

(Alle Fotos: Jan Blaffert)