Il Surfer da sei milioni di dollari - Der Sechs-Millionen-Dollar-Surfer

War früher alles besser? Besser, weil leerer, weil es noch Abenteuer gab? Weil man nicht alles nachschauen konnte, nicht immer Bescheid wusste? Jemand, von dem ich gerne wüsste, ob früher alles besser war, ist der Italiener Fabrizio Passetti. 

Fabrizio Passetti InterviewIch habe Fabrizio vor ungefähr 20 Jahren kennen gelernt. Mein guter Freund Tim und ich waren auf dem Weg nach Brutal Beach Südfrankreich zum Windsurfen. Ich hatte über drei Ecken etwas von einer Welle in Italien gehört und wollte dort unbedingt Halt machen. Jetzt muss man sich das mal vorstellen: an diesem Spot in Italien hat es im Jahr im Schnitt 20 Tage Wellen, wenn überhaupt. Und wir sind einfach auf gut Glück von der Autobahn angefahren. Und was bekamen wir zu sehen, als der Blick aufs Wasser frei wurde? Richtig gute Wellen. Von da an ging es so oft wie möglich über den Brenner, oftmals völlig umsonst, denn eine Wellenvorhersage gab es damals nicht und die Wellen aus dem Wetterbericht des Corriere della Sera zu deuten, kam für uns damals einer Wissenschaft gleich. Ja, ja, kein Magicseaweed, kein Surfline, nur eine Festnetznummer: “Ciao Francesco! Come stai? Come sono le onde doppo domani?”

Schnell hatten wir uns mit den meisten Locals angefreundet hatten. Fabrizio war einer der jungen Surfer im Ort. 10 Jahre jünger als wir, den ganzen Tag mit seinen Freunden Gianluca und Alessandro im Wasser. Alte, schrottreife Bretter, zerfledderte Surfanzüge, aber immer ein riesiges Grinsen im Gesicht, auch nach dem zehnten Over-the-Falls. Es waren die Zeiten, in denen man nach dem Verlassen des letzten Tunnels meistens herb enttäuscht wurde. Aber manchmal halt auch die letzten zehn Kilometer vor unglaublicher Freude im Auto hin und her sprang. Zum Sound von den Beastie Boys, Souls of Mischief oder Stereo MC.  

Sprung in die Gegenwart

Ich bin mal wieder unten und es laufen schöne Wellen. Ich paddle raus, Ale und Gianluca sehen mich und lachen. „Wenigstens wissen wir, dass es gute Wellen geben wird, wenn du im Lineup auftauchst“, sagt Ale. Wir plaudern ein bisschen und irgendwann schnappe ich mir meine erste Welle. Während ich paddle höre ich jemanden meinen Namen schreien. „Vai Quiriiiiinoooo!“ Als ich nach meiner Welle wieder raus paddle sehe ich einen Surfer, der auf einer nächsten Setwelle Takeoff macht. Er trägt eine Prothese. Er surft einen schönen Bottom-Turn, gleitet die Welle nach links, ein schöner Cutback und steigt aus. Als wir beide wieder im Lineup sind erkenne ich ihn. Es ist Fabrizio, der junge Local, den ich nach unseren ersten Sessions von vor 20 Jahren aus den Augen verloren hatte. 

„Ciao Quirino! Wie geht es dir?“, fragt er mich. „Wir haben uns lange nicht gesehen. Erinnerst du dich an mich?“

„Klar, Fabrizio! Wie toll dich zu sehen. Was zum Teufel ist dir denn passiert? Ich wusste nicht, dass du ein Bein verloren hast! Ich hatte nur gemerkt, dass du, kurz nachdem wir uns kennen gelernt haben, nicht mehr im Wasser zu finden warst. Was ist denn passiert? Da wir in Italien sind, würde ich auf Motorradunfall tippen?“

„Genau so ist es. Ein Unfall mit einer Freundin. Ihr ist zum Glück nichts passiert ist. Ich habe ein Bein verloren.“

„Shit, das tut mir Leid.“

Wir paddeln an den Peak zurück und unterhalten uns und treffen uns nach der Session auf einen Cappuccino.

„Die erste Frage, welche ich den Ärzten gestellt habe war: Seien sie ehrlich, Dottore, werde ich wieder surfen können?“ erzählt Fabrizio. 

„Es gibt zwar große Fortschritte bei den Prothesen, aber ob sie wieder ins Wasser können? Eher nicht“, war die Antwort des Arztes. Ich hatte natürlich keine Ahnung von Prothesen, keine Ahnung, wie sich das anfühlen würde. Aber es war nicht so sehr die Angst vor eine Prothese, ich hatte einfach Panik nie mehr ins Wasser gehen zu können. Was mich ganz lange am Surfen gehindert hat, war auch nicht die richtige Prothese, sondern die Entzündung, die dazu geführt hat, dass ich gar keine Prothese tragen konnte. Sehr viele Krankenhausaufenthalte, viele Behandlungen, viele Quacksalber, viele sehr depressive Momente. Wie ich es da genau durch geschafft habe, kann ich dir gar nicht sagen. Gute Freunde denke ich mal und der Hoffnungsschimmer vielleicht doch irgendwann wieder ins Wasser zu können.

Irgendwann konntest du dann mit dem Bodyboard wieder ins Wasser. Wie kam es dazu und wie ging es dann weiter? Wie war es nach 12 Jahren wieder auf einer Welle aufzustehen?

Mein Weg zurück ins Wasser war ein steiniger… Die italienischen Doktoren sagten mir, dass ich gerade auf Grund der Infektion nicht ins Salzwasser dürfe. Meine Rettung kam dann in Form eines Doktors aus der Schweiz. Er wusste, dass ich in am Meer lebte. Neben seiner normalen Behandlung sagte er zu mir ich solle doch so oft wie möglich ins Salzwasser gehen, dass würde auf natürliche Art desinfizieren. Als ich das hörte, konnte ich es kaum glauben. Schon witzig, die italienischen Ärzte sagten, „bloß nicht ins Wasser“, ein in den Bergen praktizierender Schweizer riet mir dazu. Ich habe mich natürlich sofort mit einem Bodyboard ins Wasser geschmissen. Das hat mir aber schnell nicht mehr gereicht und ich habe mich gefragt, warum nicht mit einer Prothese. Aber auch das hat lange gedauert. Zuerst habe ich versucht eine dafür geeignete Prothese zu bekommen, aber das dauerte ewig. Also habe ich einfach eine alte genommen und sie festgeklebt. Ich habe sie einfach mit Tape an meinen Oberschenkel festgeklebt. Und so hat es funktioniert. Ich war zurück im Leben!

Wie waren die ersten Jahre, als du mit deinen Freunden das Surfen entdeckt hast?

Ich wurde in Genua geboren. Meine Eltern hatten ein Haus am Strand, wo wir immer in den Ferien und am Wochenende waren. Als ich dort zum ersten mal Wellen und Surfer sah, hat es mich gepackt und ich habe mich sofort in den Sport verliebt. Es dauerte nicht lange, bis ich mich dazu entschied an den Strand zu ziehen und keinen Tag mit Wellen mehr zu verpassen. 

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Was hat sich verändert?

Mein Gott, früher haben uns die älteren Leute angeschaut, als wäre wir Aliens, ha ha ha. Surfen war einfach überhaupt kein Thema in Italien. Mittlerweile haben sie sich daran gewöhnt. Abgesehen davon, dass es voller geworden ist, hat sich viel verändert. Früher waren wir Surfer eine eingeschworene Familie. Wir haben alles ausgetauscht, Magazine, Videokassetten, welche die Jungs von ihren ersten Surftrips mitgebracht hatten. Wer damals surfte, tat es, weil er es wirklich liebte. Alles war neu, alles war spannend. Mittlerweile ist Surfen zu einer Modeerscheinung geworden und ich habe das Gefühl, dass viele Kids aus dem falschen Grund heraus mit dem Surfen beginnen. Aber vielleicht spricht da auch der alte Sack aus mir, ha ha ha. Und lieber surfen sie, als vor dem Computer zu sitzen.

Dir ist neulich deine Prothese kaputt gegangen. Hast du eine Ersatzprothese zu Hause?

Kein einfaches Thema, denn so einfach ist das nicht. Es dauert bis zu sechs Monate, um das kaputte Teil meiner Karbonprothese zu ersetzen. Jetzt habe ich wieder nur meine alte, die viel schwerer ist. Ich bin in Italien “Zivilinvalide” und das ist ein großer Unterschied zu “Arbeitsinvaliden”. Die letzteren bekommen drei Prothesen pro Jahr, ich habe nur das Recht auf zwei Ersatzteile alle drei Jahre. Und das auch nur für einfache Prothesen, also nicht für meine Karbonprothese. Und die Wartezeiten sind unglaublich lang. Jetzt muss ich erst mal wieder schauen, dass ich mit meiner alten Prothese zurecht komme. Diese Geschichten ziehen mich ganz schön runter und manchmal denke ich ans Aufgeben. Aber ich habe zum Glück gute Freunde und tolle Sponsoren (Quiksilver und Superbrand), die mir immer wieder auf Beine helfen, oder sagen wir eher, auf’s Bein, ha ha ha.

Und ich möchte anderen Menschen mit ähnlichen Behinderungen zeigen, dass das Leben weiter geht, dass es wichtig ist, nicht aufzugeben, zu kämpfen.

Ich hatte in meinem Intro die Frage gestellt, “war früher alles besser”. Ich denke da einfach an die Tatsache, dass es vielleicht leerer war, da es noch kein Internet gab. Für dich hat die Frage eine ganz andere Relevanz. Würdest du etwas ändern wollen, wenn du es könntest?

Weißt du was, man kann nichts ändern und ich muss mich einfach damit abfinden. Und das habe ich. Manchmal ärgere ich mich, dass ich nicht schneller und intensiver nach einer Lösung für meine Prothese gesucht habe. Ich hätte mich einfach gleich so reinhängen müssen, wie ich es auch jetzt tue. Ich hätte die Hürden schneller nehmen müssen, anstatt vor ihnen zurückzuschrecken. Aber das war natürlich nicht so einfach, denn man muss sich einfach auch erst mal mit seinem Schicksal abfinden. Oder sagen wir, anfreunden.

Früher war alles anders. So würde ich es ausdrücken. Heute ist es so, dass ich mein Leben sicherlich intensiver lebe. Ich kann mich an den kleinen Dingen des Lebens viel mehr erfreuen. Und da spielt Surfen auch mit rein. Die Möglichkeit wieder einen Take-off zu machen, die Möglichkeit wieder zehn mal Over-the-falls zu gehen… Alles schmeckt anders, intensiver und ist schwer in Worte zu fassen. Jeder Tag ist ein Geschenk und ich bin dankbar, dass ich wieder im Wasser bin. Es ist sicher nicht so wie früher und Vergleiche zu ziehen machen keinen Sinn, aber ich bin glücklich, auch wenn es immer wieder Hürden zu nehmen gibt. 

So, ich muss jetzt nach Hause und meine Proteste wieder richtig ankleben, damit ich nachher noch mal ins Wasser komme. Bis später!

Danke Fabrizio!

Ich habe zu danken! Ciao Ragazzi!

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Fabrizio lässt auch im Winter keinen Swell aus.