Fukushima Surf Scene Bluemag Yearbook 2017

Dieses Feature erschien im Yearbook 2017.

In den strahlenverseuchten Wellen der roten Sperrzone Fukushimas kämpft eine kleine Gruppe lokaler Surfer um etwas Normalität im atomaren Wahnsinn.

Iwaki, Präfektur Fukushima. Die Leitplanken der Küstenstraße 382 liegen entwurzelt auf dem Asphalt, grotesk verbogen von der Wucht des Tsunamis. Eine Kolonne schwer beladener Lastwagen der Fukushima-Daiichi-Decontamination-Säuberungseinheit navigiert durch die Trümmer. Aus provisorisch errichteten Lautsprecheranlagen schallt den Arbeitern in Dauerschleife der Hinweis entgegen, sich bei anhaltenden Migränebeschwerden umgehend beim Stationsarzt zu melden.

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Diese Küstenregion galt lange Zeit als Japans Surf-Zentrum mit einer lebendigen lokalen Szene und den Weekend-Warriors aus Tokio, die den Crowds der Präfektur Chiba entfliehen wollten. Japans bester Surfer Hiroto Arai vergleicht die Sperrzone mit den französischen Beach Breaks von Les Landes: „Als Grommet habe ich die Gegend geliebt: superkonstante Beach Breaks mit viel Power und der perfekte Ausgleich zur Hauptstadt-Hektik. Isawa war mein absoluter Lieblings-Spot in Japan. Mit einem ordentlichen Taifun-Swell schepperten hier A-Frames wie in Hossegor über die Bänke. Und bei Ebbe konnte man sich die ewig langen Lefts von Tairatoyoma mit der Single-Fin-Crew teilen.“

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Heute ist der Logger-Hot-Spot ein Zwischenlager für radioaktives Material aus dem havarierten AKW. Über 30 Millionen Tonnen kontaminierter Boden wurden bisher geborgen, verpackt und verladen. Das Problem wird bewegt, nicht beseitigt. Ein Ende ist nicht in Sicht. Dennoch arbeiten Regierung und Atomlobby unermüdlich an dem Mythos, die Menschen könnten ihr Leben in diesem Gebiet wiederaufnehmen. Der schonungslose Bericht des französischen Fotografen Eric Lafforgue zeichnet ein anderes Bild. Er erzählt von verlassenen Siedlungen mit unheilvollen Millisievert-Werten. Von Normalität keine Spur – wenn da nicht mitten in der atomaren Einöde eine Crew hartgesottener Locals die sauberen A-Frames surfen würden. Keine 50 Kilometer nördlich rinnt seit Jahren Kühlwasser in den Pazifik, dessen Konzentration an Radionukliden um das Zehntausendfache über den gesetzlichen Grenzwerten liegt. Der Weg zu diesem Beach Break ist mit eindeutigen Mahnmalen gepflastert: Straßensperren, Stacheldrahtzäune und nicht zuletzt Hunderte Plastiksäcke voller Endzeitabfall – direkt an der Wasserkante. Eine kontinuierliche Strahlenabsorption dieser Größenordnung ist präzedenzlos. Über die Langzeitfolgen kann also nur spekuliert werden. Mit kalkuliertem Risiko haben diese Sessions nichts mehr zu tun.

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Für Lafforgue zählt nur eine Frage: warum? Der Tsunami hat den Küstenbewohnern auf einen Schlag alles genommen. Die Heimat, die Familien, die Lebensgrundlage. Die atomare Katastrophe hat Japan darüber hinaus seine beste Surf-Region entrissen: 140 Kilometer Küste mit über 20 Spots fallen in die rote Sperrzone. Neue Auflagen des „World Stormrider Guide“ wurden angepasst, von Magicseaweed bis Surfline sämtliche Online-Vorhersagen entfernt. Jeglicher Kontakt mit dem Pazifik ist in der gesamten Präfektur streng untersagt.

Laut Angaben der Locals, die genau deshalb lieber anonym bleiben möchten, dauerte es trotzdem kein Jahr, bis die Ersten den Anblick des verlassenen Home-Spots nicht mehr ertrugen. Lafforgues Fassungslosigkeit schlägt verbitterter Fatalismus entgegen. „Der Wetsuit ist gegen die Kälte, die Creme gegen die Sonne. Gegen die Strahlung habe ich bisher nichts gefunden“, flachst ein Mittzwanziger achselzuckend. „Außerdem besteht die Regierung doch darauf, dass die Dekontaminierung erfolgreich war. Bald dürfen wir zurück in unsere Häuser.“

Die Situation ist unvorstellbar traurig: Denn knapp 7 Jahre nach dem Super-GAU ist die Vergangenheitsbewältigung noch längst nicht abgeschlossen und die Informationslage bestenfalls diffus. Die Politik hat hier ganze Arbeit geleistet. Ein Gesetz zum Schutz von Staatsgeheimnissen wurde durchgeboxt, das die unabhängige Berichterstattung über die Zustände in Fukushima erheblich erschwert. Wie es wirklich in den betroffenen Reaktorkammern aussieht, ist bis heute unklar. „Die wahren Folgen unserer Sessions werden wir dann wohl in zehn bis 20 Jahren zu spüren bekommen“, meint der Älteste der Crew. Im März 2017 haben erste Maßnahmen für die geplante Rücksiedlung von Einwohnern der orangen Nuklearzonen begonnen. Dies bedeutet für Rückkehrer den Verlust der Ausgleichszahlungen, die ihnen ein Leben in anderen Landesteilen ermöglichten. Normalität um jeden Preis in einer verlorenen Region, in der kein (Über-)Leben möglich ist. Warum also nicht noch ein paar letzte Wellen mit Freunden?

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Photo Credits:

Eric Lafforgue