John John Florence WSL Portugal 05

Poetische Gerechtigkeit: John Florence ist World Champion. Auch wenn er selbst kaum mehr als ein entrücktes Lächeln für diesen Moment übrig hatte, kommt man doch nicht um das Gefühl herum, dass an diesem Tag Geschichte geschrieben wurde. Für Hawaii und für den Sport. Von der Wasserkante in Peniche, über die Schreibtische der internationalen Surfmedien, bis in jede Kommentarzeile der digitalen Parallelwelt, sind sich alle einig: Der Junge hat es verdient! 

Blicken wir zurück auf die vergangenen, entscheidenden Jahre seiner Karriere, die Doppel-John zu dem gemacht haben, was er heute ist: World Champion (es klingt so gut!). Chefredakteur Jens Steffenhagen zeichnete im Blue Yearbook 2014 ein detailliertes Bild des hawaiianischen Thronfolgers.

 

 John John Florence

Text: Jens Steffenhagen. Erschienen im BLUE Yearbook 2014 

Kein anderer Surfer fasziniert uns so sehr wie John John Florence, 21, aufgewachsen an der North Shore von O'ahu. Das Besondere: JJF betört die Massen allein durch Talent, Style und Attitude. Das John John den Sport in neue Höhen führen wird, ist sicher. Doch kann er ihn auch repräsentieren, so wie King Kelly es tat? Wer ist der Typ, den alle immer noch für einen Teenager halten?

Zuerst mal das mit dem Namen: John John Florence heißt eigentlich John. Wie sein Vater. Doch seine Mutter Alex war tief gerührt, als sie Bilder des dreijährigen John F. Kennedy Jr. sah, der stramm vor dem Sarg seines erschossenen Vaters salutierte. John F. Jr. wurde John John genannt. Und da Alex Florence sich wünschte, dass ihr Sohn ebenso tapfer sei, rief sie ihn von nun an John John. Vielleicht, weil auch ihr Sohn den Verlust des Vaters ertragen musste. Dad John verließ seine Familie und die Wahl-Heimat O'ahu nämlich nach wenigen Jahren und landete auf dem Festland im Knast. So geht zumindest die offizielle Version. 

Es gibt allerdings auch eine inoffizielle, die besagt, dass John Johns Vater durchaus noch auf der Insel wohnt. Ich weiß nicht, welche Version stimmt. Doch ich weiß, dass wir 2011 bei einem bereits nachmittags alkoholisierten End-Vierziger an der North Shore wohnten, der John hieß und dessen Physiognomie eine unglaubliche Ähnlichkeit mit dem markanten Gesicht des Teenagers aufwies. Darauf angesprochen antwortete John Senior mit traurigem Blick  und beachtlicher Rum-Fahne: "You know what? Alex Florence wanted to marry ME!" 

Wie auch immer - John John wuchs als erstes Kind der verdammt jungen, gerade ihrer White-Ghetto-Herkunft in Ocean Grove, New Jersey, entflohenen Alex an der North Shore von O'ahu auf. Warum Hawaii? Weil Alex Träume hatte. Träume von einem ganz anderen Leben. Sie träumte davon, Surfen zu lernen. Die ganze Welt zu sehen, besonders den sonnigen Teil. Abenteuer mit abenteuerlustigen Typen zu erleben - und nicht mit Jersey-Shore-Prolls. 

John John Florence WSL Pipemasters 2015

Also war Honolulu Alex' erstes Ziel. Von hier aus ging es nach einer Weile weiter: Kauai, Bali, Europa - und wieder an die North Shore, wo sie mit John und bald drei Kindern im Abstand von gut einem Jahr nahe Rocky Point hauste. 

Die Beziehung ging kaputt, Alex war nun Single-Mom von John, Nathan und Ivan. Das Leben der vier drehte sich in jeder freien Minute um Surfen und Skaten. Und freie Minuten gab es viele. Ein neuer Mann, der die Vaterrolle hätte übernehmen können, trat nicht ins Leben der Florence - was rückblickend betrachtet ein materieller Glücksfall war. Denn schon nach wenigen Jahren wurden die ersten Mainstream-Medien auf die märchenhafte Geschichte der Familie Beachbum aufmerksam: Kein Geld, kein Job, keine Beziehungssorgen – aber Wind im sonnengebleichten Haar, Pipeline in Sichtweite und eine Halfpipe im Garten. Elle und Vogue porträtierten Alex und die Jungs, und die Geldgeber standen bald Schlange. Natürlich in erster Linie wegen des ungewöhnlichen Surf-Talents des mittlerweile siebenjährigen Wunderkinds, doch die rührende Homestory schadete bei der Sponsoren-Akquise sicherlich nicht. 

In den nächsten Jahren entwickelte sich John John zu einem der besten Nachwuchssurfer Hawaiis und der USA. Legendär sein erster Auftritt bei der Triple Crown 2005: In fetten Wellen in Haleiwa ließ der 13-Jährige als jüngster Teilnehmer in der Geschichte des Events Shane Dorian hinter sich. Sechs Jahre später gewann er die Triple Crown. Mit 19 Jahren - das war noch niemandem zuvor gelungen. Die ganze Welt horchte auf. 

Mehr noch als die sportlichen Erfolge sorgte jedoch John Johns Style für einen Hype, der sich seitdem exponentiell steigert: Dieser Flow! Diese Coolness! 

Eine typische John John-Szene:

Take Off unter der meterdicken Pipe-Lippe. Der rechte Arm reißt das Brett im Bottom Turn zurück in die Wand, der linke stallt. Die Welle steht auf und schmeißt, John John relaxt. Die Arme angelegt, der Rücken kerzengrade, rast er durch die Barrel bis sie spittet und er mit demütig gesenktem Kopf den Hagel genießt, während vor ihm die Fotografen abtauchen.

Oder: Ein verzögerter Take Off, um direkt in die Backdoor-Röhre zu fallen, endlose Sekunden ist er in der schnellsten Barrel der Welt verschwunden, die zum Ende immer enger wird. Als das ganze Gebilde in sich zusammenzufallen scheint, sieht man den hageren Körper aus dem tosenden Wasserberg herausschießen, tief in den Knien einer logischen und doch völlig absurden Line folgend, die ihn ans Licht am Ende des Tunnels brachte.

Oder: Hoch im oberen Drittel einer Rocky Right pumpend, die Arme ganz ruhig, bis er fast Schallgeschwindigkeit erreicht und sich über den nächsten Chop zwei Meter in den Himmel katapultiert, um dort einen Inverted Alley Oop zu boosten, der jeden Snowboarder neidisch machen würden. 

John John Florence WSL Portugal 02

Überhaupt: 2011 war Johns Johns Jahr.

Er gewann alle wichtigen Contests der North Shore. Doch wahren Heldenstatus verlieh ihm seine Zähigkeit nach einem Slam auf das Pipe-Riff. Mit eigener Kraft schleppte er sich trotz höllischer Schmerzen und tauben Beinen den Strand entlang bis zu seinem Haus, jede Hilfe ablehnend. Seine Mutter fuhr ihn zum Röntgen in die Stadt. Diagnose: Bruch des Rückenwirbels. Ein halbes Jahr Pause folgte, bevor der Karriereplan wieder seinen vorgezeichneten Weg nahm.

Kurz darauf wollte John John plötzlich nur noch John genannt werden. Er fand, dass er jetzt erwachsen sei und diese Verniedlichungsform nicht zu einem Mann passe. Doch hier hatte er die Rechnung ohne die Medien, die Öffentlichkeit und seine Sponsoren gemacht. John John war bereits ein Trademark. Ein simples John reichte nicht mehr. Der Appel verhallte ungehört. Mit seinem Wechsel zu Nike/ Hurley Anfang 2013 begrub er seinen Wunsch endgültig - die Initialen JJF werden wohl für immer sein Markenzeichen bleiben. 

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Das ist eigentlich absurd, denn der Hurley-Deal kann als Abschied von der Kindheit und einem Umfeld verstanden werden, das John John die letzten 15 Jahre begleitet hatte. O'Neill sponserte den Jungen bereits im Alter von fünf Jahren, das Verhältnis zwischen Familie Florence und der Firma aus Santa Cruz war freundschaftlich. Als der Vertrag 2012 auslief, engagierten Alex und John John Terry Hardy, den Manager von Kelly Slater und Direktor der ZoSea Media Holding, die die neue ASP regiert. Hardy führte knallharte Verhandlungen, an deren Ende der Hurley-Deal stand, der den 20-Jährigen zum bestbezahlten Surfer der Welt machte. Nike, Terry Hardy, ein eigenes Haus nahe Sunset Beach, angedichtete Affären mit Glamour-Stars - John John spielt jetzt in einer Liga mit Kelly Slater. Er ist ein Star.

John John Florence ist kein bescheidener Mensch.

Zumindest nicht nach unserer europäischen, postmaterialistischen Definition. Wir denken bei Bescheidenheit vielleicht an den Dalai Lama oder an Gandhi, aber ganz sicher nicht an einen 21-jährigen Millionär, der seinen gigantomanischen Ford Raptor Truck ohne zu zögern auf zwei Parkplätzen vor dem Markt von Haleiwa abstellt, um in Ruhe mit seinen Freunden bei Kono's zu lunchen. 

Seine Bescheidenheit ist eher Stilelement. Eine Attitude. Die Attitude der North Shore. Die Attitude wirklich großer Stars: Tue Unglaubliches, aber rede nicht darüber. Sie unterschied John John seit jeher von den Supergroms Europas oder des US-Festlands, die von ihren Eltern eingetrichtert bekamen, um jeden Preis auf sich aufmerksam zu machen. Doch was blieb ihm auch anderes übrig? Er war stets umgeben von Legenden: Herbie und Nathan Fletcher,  die Irons-Brüder, Jamie O'Brien, das Wolfpak - schwergewichtigere Spielkameraden kann man an der North Shore nicht finden. Kelly Slater kam nachmittags auf einen Mango-Saft vorbei. Kala Alexander blockte für den schmächtigen Jungen die besten Backdoor- und Pipe-Barrels. So konnte John John in aller Ruhe ein Auge für den wohl anspruchsvollsten Spot der Welt entwickeln. Seine Skills in diesen beiden Wellen, die vor seiner Haustür brechen, machten ihn berühmt. Und auch wenn John John inzwischen ebenso in schlechten Wellen einer der besten ist, wie seine selbstproduzierten Videos und sein Sieg beim Rio Pro 2012 beweisen - Pipe und Backdoor sind die Fundamente seiner Karriere. 

Kelly Slater sagte bereits vor zehn Jahren über John John: „Er wird eines Tages der beste Pipe-Surfer aller Zeiten werden.“

Dieser Tag ist längst gekommen, auch wenn Kelly ihn 2013 im Finale der Pipe Masters noch besiegen konnte. John Johns Ergebnisse sprechen für sich: Er gewann von 2011 bis 2013 dreimal hintereinander den Volcom Pipe Pro, siegte 2011 und 2014 beim Backdoor Shoot Out und holte sich 2011 und 2013 die Triple Crown of Surfing. John John Florence scheint geboren zu sein, um das Surfen auf die nächste Stufe zu heben. Doch ob dieser Sportler von einem anderen Stern auch das Gesicht des Wellenreitens für die Mainstream-Medien werden kann, wie Kelly Slater es derzeit ist, das wird sich zeigen. 

John John Florence WSL Portugal 04

Für dieses Porträt wollte ich herausfinden, wer der Typ hinter der dickschädeligen Fassade ist. Ich wollte ihm in die Augen sehen und auf den Zahn fühlen. Eine erste Kontaktaufnahme in Frankreich wurde von seinem überhasteten Aufbruch zum Contest in Portugal abgewürgt. Also per Skype. Die Hurley-Crew, sein Manager und Bekannte vermittelten. Nichts. Die Deadline rückte näher, ich machte Druck. Nichts. Die Saison begann in Snappers, und John John flog direkt raus. Ich spürte, dass es eng werden würde. Dann kam Margaret River, Gabriel Medina besiegte ihn in Runde 3. Also begann ich zu schreiben, alle Hoffnung auf ein Interview war dahin. In der Nacht kam eine E-Mail. Seine Antworten auf die Fragen, die ich ihm zwei Monate zuvor geschickt hatte, standen im Text, einige blieben unbeantwortet. Der Einblick, den der Mann, der gerne ein einfacher John sein will, in sein Leben gewährte, sieht folgendermaßen aus:

 

Du hast die Saison mit der Triple Crown stark beendet. Was lief in den ersten beiden Contests 2014 schief?

JJF: -

Welche Veränderungen, die die neue ASP eingeführt hat, begrüßt du, welche hältst du für überflüssig?

JJF: -

Ist ein Weltmeistertitel wertvoller, solange Kelly auf der Tour dabei ist?

JJF: Auf jeden Fall!

Welcher Spot sollte auf die WCT?

JJF: Keramas! Ich wünschte, Keramas würde zurückkehren. Der Event war toll.

Die neue ASP will die WCT in die Mainstream-Medien bringen. Ist das gut oder schlecht fürs Surfen?

JJF: -

Genießt du deine Popularität? Was sind die Schattenseiten des Ruhms?

JJF: - 

Was ist wichtiger: Contest-Ergebnisse oder krasse Film-Parts? Und wie schaffst du es, beides unter einen Hut zu bringen?

JJF: Ich schaffe es gar nicht! Wir bekommen die Balance nicht hin, hahahaha.

Was fühlte sich besser an: Der gigantische Alley-Oop in Keramas oder deine beste Pipe-Welle des Winters?

JJF: Der Alley Oop, denn der Moment war einmalig. Schließlich hab ich den Air geclaimt - und ich claime sonst nie.

Du scheinst immer völlig entspannt zu sein. Wie gehst du mit der Angst in großen Wellen um?

JJF: Ich habe auch Angst, aber wenn man eine Riesenwelle erwischt, will man immer mehr.

Würdest du an einem Surf-Event der Olympischen Spiele teilnehmen, wenn dieser in künstlichen Wellen, etwa dem Wavegarden, ausgetragen wird?

JJF: Ja! Aber das würde davon abhängen, wer noch mitmacht. 

Was denkst du über Localism: Notwendig, um überfüllte Lineups zu kontrollieren oder egomanische Barbarei?

JJF: Notwendig, um überfüllte Lineups zu kontrollieren.

Wer waren deine Helden, als du 15 warst?

JJF: Kelly Slater, Tom Curren, Irons Brothers.

Drei Dinge, die dir zu Deutschland einfallen:

JJF: 1. Ich habe deutsche Vorfahren. 2. Schöne Frauen. 3. Deutsche Autos.

Was ist dein Lieblingsort außerhalb von Hawaii?

JJF: Südafrika. Ich versuche, jedes Jahr einmal da zu sein.

Kannst du dir vorstellen, Hawaii einmal für immer zu verlassen?

JJF: Nein.

 

Alle Fotos: WSL, www.worldsurfleague.com