Dieser Artikel erschien im Blue Yearbook 2017.

Man kennt die Gruselgeschichten über eine Verknöcherung des Ohrs durch Kälte. Der Horror aller Nordsurfer schlägt unvorhersehbar zu - und dann hilft nur noch die OP. Der Sylter Markus Mager erzählt seine Leidensgeschichte.

Text: Markus Mager

Das erste Mal habe ich Anfang der 80er – ich surfte seit ein paar Jahren – von dieser mysteriösen „Ohr-Krankheit“ gehört. Geschichten und Legenden rankten sich um das Surfer’s Ear, das Wassersportler in kalten Regionen heimsucht. Jürgen Hönscheid und Henry Flatters waren die Ersten, die davon berichteten und tatsächlich auch schon ein Knochenwachstum im äußeren Gehörgang hatten. Auch die Rettungsschwimmer und andere Surfer auf unserer Insel haben ab und an mal darüber berichtet.

Es ist bewiesen, dass Wasser ab 17 Grad Celsius abwärts, das beim Schwimmen oder Surfen durch das Ohr spült, dieses Wachstum auslöst. Man nimmt an, dass sich das Ohr damit selber schützen will, aber kein Fachmann ist bis jetzt sicher, ob es eine Schutzfunktion ist oder einfach nur eine unerklärte Reaktion des äußeren Gehörgangs. Auch Menschen am Meer, die viel im feuchtkalten Wind stehen, können es bekommen. Wenn man medizinisch nichts dagegen unternimmt, geht das Wachstum so weit, dass der Gehörgang dicht wächst und das Ohr somittaub wird. Auch steigt die Gefahr von ernsten Entzündungen durch Bakterien, da das Wasser rein-, aber schlecht wieder rausläuft, besonders wenn das Wachstum von unten nach oben verläuft und das Wasser so daran hindert rauszulaufen.

Es gab damals immer mal wieder ein paar ältere Surfer auf Sylt, die mit Ohr-Plugs surften, besonders wenn es kälter wurde, und auch auf den Surf-Trips sah man den einen oder anderen mit diesen Dingern im Ohr. Gedanken habe ich mir natürlich auch darüber gemacht und irgendwann auch mal welche benutzt, da ich meinte, ebenfalls vorbeugen zu müssen. Aber die damaligen alten Plugs hatten keine Membran und somit war man taub auf dem Wasser und ich hab die Dinger sofort wieder weggeworfen, da ich absolut unfähig war, meine Umgebung voll wahrzunehmen, geschweige denn, mich mit anderen zu unterhalten. Und so kam es dann, dass ich Mitte der 90er mal eine Ohr-Infektion hatte und mein Hals-Nasen-Ohren-Arzt mir mitteilte, dass mein rechtes Ohr schon sehr verengt sei. Beim linken war noch nicht viel zu erkennen, aber es begann auch darin zu wachsen.

Zu der Zeit hatten ein paar Surfer, die ich kannte, ihre ersten Operationen, von denen sie erzählten. Grauselige Geschichten von Eingriffen mit lokaler Betäubung, wobei ein Schnitt hinter dem Ohr gemacht wurde, es nach vorne geklappt und dann mit Hammer und Meißel der Knochen weggearbeitet wurde. Eine Lautstärke unfassbaren Ausmaßes, nachfolgende Schmerzen und Tinnitus und, und, und... Irgendwie hatte jeder Angst davor, der Nächste zu sein, und trotzdem hat kaum jemand
schützende Ohr-Plugs getragen.

Faszinierend finde ich, dass wir hier an der Nordseeküste alle als Erstes das rechte Ohr operieren lassen müssen. Komisch? Ja... ich habe letztens mit Jan Überall von Fehmarn geschnackt. Er sagt, dass alle an der oberen Ostseeküste zuerst das linke Ohr bearbeitet haben müssen... anscheinend ist es der kalte Nordwind, der uns Probleme bereitet.

2010 war es dann so weit. Im Sommer hatte ich immer wieder Probleme mit meinem rechten Ohr und im Herbst auf Hawaii war es dann nach einer Session komplett dicht. Zum Glück hatte ich keine Infektion, aber taub zu sein auf einem Ohr war superscheiße. Ich habe dann mit einem Kumpel geredet, der schon operiert wurde, und er empfahl mir die Uni-Klinik in Kiel, in der ein sehr guter Arzt arbeite, der viel Erfahrung mit Surfer’s Ear habe. Termin geholt, ab zur Erstuntersuchung und dann noch mal später zur eigentlichen OP. An dem Tag hatte der besagte
Arzt keinen Dienst und eine andere Ärztin sollte die OP durchführen. Ich habe vorher mit ihr gesprochen, ihr eine teure Flasche wunderbaren Rotwein in die Hand gedrückt und sie gebeten, da ich ja auch Handwerker bin, bitte eine gute Arbeit zu machen... und tatsächlich war es gar nicht so schlimm. Nach der Vollnarkose hatte ich ein leichtes Summen im Ohr und kaum Schmerzen. Beim Kauen war es etwas unangenehm und es tat circa drei, vier Tage leicht weh. Sie hat von vorne gearbeitet, ohne das Ohr wegzuklappen, und die Verknöcherung weggemeißelt und teilweise weggefräst, mir etwas Silberhaut von dem Muskel vor dem Ohr entfernt, um es mir auf die offene Wunde zu setzen, damit es besser verheilt. Die Tamponade kam nach vier Wochen raus. 

Nach sechs Wochen war ich mit einem Ohr-Plug wieder im Wasser. In den ersten Monaten fühlte es sich etwas verletzlich an, aber dann war alles wie gehabt. Ich muss zugeben, dass ich auch keine Plugs mehr trage, da ich es echt zu unangenehm finde, und irgendwie habe ich ja seit der OP wieder 30 Jahre Zeit, bis das Ohr zuwächst. Solange hat es nämlich gedauert vom ersten Surfen bis zur OP. Mal sehen, ob es stimmt, aber demnächst ist dann wohl das linke Ohr dran.

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