Rückblick World Surfing League Saison 2015

Puh, ein Jahr ist ganz schön lang, wenn man es in elf Contests einteilt. Bilder mit Fragmenten eigener Sessions, die langen Nächte vor zahlosen Webcasts und der süße Sound von Babygeschrei vernebeln mir zumindest die Erinnerung an die erste Hälfte der WCT-Saison. 

Wer ahnt denn noch Felipe Toledos repetitive Air Reverses, die letzten Endes zum Sieg in müden Snappers-Peelern reichten? Und wer kann die Sieger von Bells, Margret River oder Rio benennen? Ok, dass es Felipe oder Adriano De Souza waren, ist sehr wahrscheinlich. Aber in welchen Bedingungen und gegen wen? 

Keine Ahnung, ist auch egal. Denn die erste Hälfte der Tour war, wie so oft, zum vergessen. Entweder fand der Contest an einem guten Spot (Snappers) zur falschen Jahreszeit (genau zwischen Cyclone- und Winterseason) statt - oder an öden Spots (Bells, Margaret River, Rio). 

Die WSL-Promo-Maschine drehte damals im Leerlauf: Wie zur Hölle soll man Fernsehsendern oder Non-Surf-Sponsoren ein Produkt verkaufen, dass sogar Surfer langweilt? Hilfe von außen musste her. Also bekam die Werbeagentur Mistress (L.A.) den Auftrag, das PR-Desaster ins Gegenteil zu verdrehen. Ihre Idee: Aus dem größten Minus des Sports, der Unberechenbarkeit, machen wir einen Pluspunkt:

You can't scrip this! war geboren.

Und das beste: der Claim funktioniert in beide Richtungen - als Entschuldigung und als Freudenschrei.

Wellen sind scheiße... Nicht unsere Schuld - you can't script this!

2 perfect 10 von Owen? Wow! You can't script this!

Haiattacke - Heavy! You can't script this!

Adriano wird Weltmeister - Who knew? You can't script this!

Genial! Doch ist das Produkt, das uns verkauft wird, die Worldtour, tatsächlich frei von Regie und Drehbuch? Natürlich nicht. Ganz im Gegenteil wird immer deutlicher, dass auch die WSL (wie die meisten Sports-Vermarkter) zu jedem Event eine berührende, menschelnde Story mitliefern will. Denn der sportliche Aspekt des Surfens, das haben sie eingesehen, wird alleine niemals reichen, um endlich Fernsehpräsenz zu erlangen. Drei Beispiele dafür, dass eine Menge Script hinter dem Spektakel steckt:

 

Fiji: the perfect heat

Der Unterschied zwischen einer 9.7 und einer 10 ist schwer ermittelbar. Schaut man sich Owen Wrights Round-5-Heat in Fiji an, dann hätte er auch genauso gut bei 19 Punkten landen können. Doch die Tour brauchte nach dem lahmen Start ein Highlight. Und Cloudbreak lieferte zwar Barrels, aber keine Bedingungen, die eine News in den Sportnachrichten rechtfertigt hätten. Doch "the perfect heat"? Wow. Das ist eine Headline. Noch Monate später wurde immer wieder dieser sensationelle perfekte Heat wiedergekäut. Ein Stück Zeitgeschichte halt. In Wirklichkeit jedoch nur zwei ziemlich gute Barrels auf einer Welle, die weit spektakulärere Tage erlebt hat. 

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 J-Bay: shark attack:

Ein Hai-Angriff während des Finales eines WCT-Contests? Ich bin mir sicher, Dave Prodan, PR-Chef der WSL, grinste breit, als er an dem Press Release feilte, während Fanning noch mit Herzklopfen unter der Dusche stand. Ist das zynisch? Nein. Das Profi-Surfen ist in den Händen eines Investors, also gelten die Regeln des Marktes. Und der sagt: gib mir Einschaltquote und ich sponsor dich. 22 Millionen mal ist das Youtube-Video der WSL von dem Vorfall geklickt worden. Fanning tauchte in jeder großen Talkshow auf und die WSL lieferte täglich neues Futter: "His first surf after the incident", "Will he ever return to J-bay?" und, mein Favorit: "WSL takes legal action against KFC after shark attack parody". Die BILD wäre stolz - You can't script this any better!

 

Pipeline: death & title showdown:

Auch während des Pipe-Contests war es Mick Fanning, dessen Schicksal die Vorlage zu einem unerträglichen Rührstück lieferte: Der überraschende Tod seines offenbar alkohol- und/oder drogenabhängigen älteren Bruders erreichte Fanning am Morgen des Title-Showdowns. Das ist schrecklich. Die normale Reaktion wäre gewesen, sofort nach Hause zu fliegen. Stattdessen setzte Mick den Wettkampf fort. Das ist seine Entscheidung - wer weiß, welche Beziehung sie zueinander hatten. 

Unerträglich wurde es jedoch, als die WSL-Marketing-Maschine Fanning zum Superhelden erkor, der trotz der Tragödie den Job zuende bringt. "Regardless of the result, Fanning will be a World Champion" Für was wurde er gepriesen? Wäre es nicht eher ein Zeichen der Stärke gewesen, zu trauern? Doch die WSL und die Surfmedien feierten Micks Fähigkeit, zu verdrängen, wie zuvor seinen angeblichen Sieg über den Hai. 

So bekommt nach und nach jeder Pro eine comichafte, eindimensionale Identität aufgedrückt - damit bald nicht mehr schwer zu merkende Namen gegeneinander antreten, sondern Abziehbildchen: Fanning the dragon slayer, Adriano- the working man's hero, Wilko the clown. 

Ich freu mich darauf, diese Fassaden im Laufe der Jahre wieder bröckeln zu sehen. Denn zum Glück gilt für das Leben tatsächlich: You can't script this! 

- Jens Steffenhagen