Dieser Artikel erschien im Blue Yearbook 2016.

Die Tage der Wächter des Regenwalds der indonesischen Mentawai-Inseln sind gezählt. Die letzten Schamanen Siberuts mit ihren charakteristischen Tätowierungen aus Oktopus-Tinte führen einen aussichtslosen Kampf gegen die touristische Erschließung der Inseln West-Sumatras. Leider sind auch Surfer an diesem Missstand mitschuldig.

In der dritten Ausgabe des BLUE Magazine 2002 berichteten wir über einen New Yorker Fotografen, der sich in den 90er-Jahren auf einer Expedition zu den Mentawai-Inseln südwestlich von Sumatra mit dem Schamanen Waia Lau Lau anfreundete. Als einer der ersten Journalisten berichtete er über die versteckten Zauberer, die Riten und Langhäuser der Eingeborenen der Insel Siberut, die bis dahin nur wenig Kontakt mit der westlichen Welt hatten.

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Warum auch? Die Inselkette der Mentawais hatte keine Bodenschätze zu bieten, die Gewässer waren durch jahrelange Überfischung der koreanischen und japanischen Fangflotten wenig ergiebig und zudem verhinderte die extrem hohe Malariagefahr der Region jede touristische Erschließung. Doch dann hielt der Surf-Boom Einzug in die ruhigen Lagunen der Mentawais. Der „Indies Trader“-Skipper Martin Daly entdeckte und surfte als Erster die Wellen, die das wahrscheinlich beste Surf-Revier der Welt darstellen. Wenig später folgten die Massen. Ursprünglich angesetzte Quoten für Charterboote und eine Reglementierung gegen Camps zum Schutz der einheimischen Bevölkerung hatten nicht lange Bestand. Zu groß ist der finanzielle Nutzen der Horden von Surfern auf der Suche nach der Barrel ihres Lebens zwischen Kandui, Ebay, Lance’s und Maccas. Als Surf Sanctuary tarnten sich die ersten Landcamps, die meisten von ihnen wurden von findigen australischen Investoren mit indonesischen Mittelsmännern gegründet. Eine strikte Müllpolitik sollte es geben. Es gab die Auflage, Einheimische mit Mindestlohn einzustellen und die Eingeborenen durch Schutz ihrer Gebiete und Pachtzahlungen am Tourismus partizipieren zu lassen.

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Von alledem ist nicht viel übrig geblieben. Das hässliche Gesicht des Kapitalismus hat mittlerweile voll zugeschlagen. Surf-Hotels sprießen wie die Pilze aus dem Boden, immer neue moderne Charterboote erlangen die Zulassung für das fragile Archipel. Die Schamanen und Dörfer der Mentawai sind diesem Trend ausgeliefert. Die Lobby zu ihrem Schutz ist klein und machtlos. Zunächst wurden sie als Souvenirverkäufer akzeptiert, doch der Zugang zu Alkohol und die Konfrontation mit westlichen Bräuchen führte schnell zu Konflikten. Prostitution, Versklavung, Erpressung, Morde – glaubt man den jüngst erschienenen Presseartikeln, so handelt es sich hier um hochgradige Verletzungen der Menschenrechte versteckt hinter der harmlosen Fassade des Surf-Tourismus. Zudem kollidieren die Bebauungspläne großer Hotelprojekte mit den Interessen der primitiven Dörfer. Als Stupid Men wurde die Mentawai-Bevölkerung jüngst von der Regierung bezeichnet und mehr oder weniger ihrem Schicksal überlassen. Ob und wieweit man sich mit diesem Zustand moralisch abfindet, sei jedem selbst überlassen, ebenso ob man auf Surf-Reisen in diesen Teil der Welt verzichtet. Tatsache ist, dass hinter den paradiesischen Lagunen und Wellen Verbrechen geschehen. Wenn wir uns an die Worte Leonardo DiCaprios über die „Ausbeutung der Indigenous People“ anlässlich der 2016er-Oscar-Verleihung erinnern – ein Paradebeispiel für einen solchen Missstand erleben wir gerade auf den Mentawais.

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Credits:

Text: Peter Michel

Foto: Lars Krutak