Nias Swell Of The Decade

Swell des Jahres, schon wieder. Erst letzte Woche hat es hier und in ganz Indonesien gewaltig gekracht, der Hype war noch gigantischer als der Swell selbst, doch heute ist alles ein wenig ernster. Weniger Hype, dafür mehr Power. Zuschauer am Strand, Drohnen in der Luft, Pros im Wasser. Es ist die große Show und alle sind am Start: Florence, Walsh, Healy und wie sie alle heißen. Erst morgen erreicht der Swell seinen Höhepunkt doch schon jetzt werden gewaltige Wassermassen durch Lagundri Bay geschoben, nur um wenig später in einer gewaltigen Explosion auf dem Riff zu detonieren. Die schiere Kraft dieses Swells ist außergewöhnlich. Fische werden an Land gedrückt. „In all den Jahren, die ich hier Lebe, so was habe ich noch nicht gesehen“. Wenn das von einem Lagundri Local kommt, dann will das was heißen. Heute geht alles gut. Die Brasilianer nebenan feiern sich und die Wellen am Balkon ihrer Unterkunft. Ob sie morgen auch noch so euphorisch sein werden?

Nias Lineup

Tag X. Der große Tag. Was gestern als groß empfunden wurde, ist heute nur noch Mittelmaß. Was jetzt in die Bucht donnert hat neue, nie da gewesen Ausmaße. „Sieht aus wie Waimea Bay!“ meint einer der Hawaiianischen Pros, die für eine klassische Strike-Mission hier sind. Und wirklich, in der gesamten Bucht hebt sich das Wasser, ist kurz davor selbst in den tiefsten Stellen zu brechen. Das Keyhole: Heute geschlossen. Der einst einfache Einstieg vom Riff ins Wasser ist zur Todeszone mutiert, zwingt alle Surfer weiter unten am Riff, über die scharfen Korallen zu laufen und gegen die Strömung um den Point herum zu paddeln. Heute ist immens viel Wasser in Bewegung. Das merke ich, als ich versuche, ins Lineup zu kommen. Keine Chance. Die gewaltige Kraft der Wellen drückt das Wasser wie einen Fluss das Riff entlang. Allen Anstrengungen zum Trotz ende ich kurz vor dem Strand, am Ende der Bucht. Doch ich habe Glück und ein Fotokanu das die atemberaubenden Wellen vorne am Point dokumentiert, spendiert mir eine Taxifahrt raus zu den Wellen. Alleine die Fahrt durch die Bucht zum Takeoffpunkt ist atemberaubend. Riesige Wände aus Wasser rasen mit einer gespenstischen Stille in die Lagundri Bay hinein. Nur das dumpfe Donnern der Wellen am Riff und unser Motor sind zu hören, als wir die gewaltigen Berge aus Wasser erst hoch, und dann wieder hinunterfahren. Der Steuermann, der Fotograf und ich sind staunend still. So etwas haben wir alle noch nicht erlebt. Vorne dann im Lineup liefert das Who is Who des Bigwave Surfens eine atemberaubende Show furchtlosen Surfens ab.

Nias Monsterswell

Nias Set Wave

Ich springe ins Wasser, versuche mich so lange wie möglich in Position zuhalten, bis mich dann die Bombe des Vormittages erwischt. Während Mat Bromley aus der riesigen Röhre geschossen kommt, nimmt mich die Welle mit, zurück an den Strand. Doch mit der Zeit stehlen die Wellen den Pros die Show. Immer größere, immer verrücktere Sets erreichen das Lineup. Irgendwann zur Mittagszeit ist dann der Punkt gekommen, an dem fast keine Wellen mehr gesurft werden. Die Elite des Sports ist anwesend, doch hier sind die Grenzen des Möglichen erreicht. „Das ist einfach nicht Machbar!“ kommt ein frustrierter Koa Rothmann an Land. Ein Swell, so hart, das Paddeln in Nias nicht mehr möglich ist, wer hätte das gedacht.

Nias Boat

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Doch nicht nur die Surfer sind von den Ausmaßen dieser Naturgewalten überrascht. Ein Boot, das in der eigentlich sicheren Zone ums Keyhole geankert hat, wird von den Wellen erfasst und stirbt einen spektakulären Tod der alle angereisten Zuschauer zum Toben bringt und Minuten später im Internet viral geht. Dasselbe Schicksal, nur viel leiser, erleiden vier weitere Kanus, etwas tiefer in der Bucht. Anscheinend haben auch die Locals nicht mit diesen Ausmaßen gerechnet. Mehrere Male höre ich von ihnen das Wort „Tsunami“. Vielleicht hat es damals, als die tödlichen Wellen von 2005 in die Bucht kamen, ähnlich ausgesehen.

Nias Charging

Nias Healey

Erst am Abend, als zwischen den unsurfbaren Monstern, immer öfters machbare Sets durchkommen, entsteht so etwas wie eine Session, die wohl in die Geschichte von Nias eingehen wird. Der Tag danach. Die Wellen: immer noch gewaltig, allerdings jetzt regelmäßig in surfbaren Ausmaßen. Das Keyhole: immer noch hektisch. Der Swell drückt immer noch viel Wasser über das Riff, doch heute kann man sich gerade noch halten, ohne weg gewaschen zu werden. Leider ist das Wasser dunkelbraun und man sieht nicht, wohin man als nächstes Tritt. Ich beweise Talent und falle so gut wie in jedes Loch am Riff, lasse zum Glück aber nur wenig Haut als Krebsfutter zurück. Mitrasendem Puls schaffe ich es in einer „Setpause“ vom Riff ins tiefe Wasser. Die Strömung: immer noch unmenschlich. Doch es gelingt mir heute etwas länger in Position zu bleiben. Die üblichen Verdächtigen schnappen sich die ganz großen Dinger. Vor allem Mat Bromley, Nathan Florence, Mark Healy und Ian Walsh stechen heraus, feiern sich und die gewaltigen Schokoladentubes ausdehnen sie auf mich zu gespuckt werden.

Nias Nate Florence

Nias Mark Healey

Der Strand, den es eigentlich seit 2005 gar nicht mehr gibt, ist verwüstet, mit Schlamm bedeckt, riecht nach Fisch. Es sieht aus, wie nach einer Überschwemmung. Die großen Korallensteine am Riff sind in neuer Formation ausgelegt. Locals sammeln Fische und Muscheln ein, die der Swell kalt erwischt hat. Heute wird es wohl viel Barbeqeue geben. Als am Abend das Wasser wieder normale Zustände annimmt, kann Revue passiert werden. Was war das denn bitte? Verletzte Pros lecken ihre Wunden, Matt George spricht von einem kosmischen Event. Alleine in der Lagundri Bay sind einige Boote gekentert, unzählige Boards und vermutlich auch ein Genick sind gebrochen. Nicht auszudenken was im restlichen Archipel kaputt gegangen sein muss. Es bleibt zu hoffen, dass diese Wellen keine Menschenleben gekostet hat. Ja, das war wirklich ein Swell epischen Ausmaßes. So etwas hat noch niemand gesehen. Sämtliche Swells der Zukunft werden mit diesem verglichen werden. Es wird heißen: Ist das größer, als damals, Juli2018? Es kann sein, dass es gar nicht lange dauern wird, bis diese Fragen gestellt werden. Denn der nächste große Swell ist schon wieder im Anmarsch. Diesmal aber ohne mich.

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Credits

Text: Stefan Götzelmann

Fotos: Stefan Götzelmann und Ted Grambeau