Text: Robin York | Dieses Feature erschien im Blue Yearbook 2017.

Was mir erst beim Schreiben des Buchs bewusst wurde“, sagt Aaron James, bevor er die kopfhohe Right akribisch in Stücke rippt, „ist, dass vor allem Surfer wissen, wie kurzlebig das Leben doch ist. Ein Tag wie heute, an dem gute Wellen mit perfekten Bedingungen zusammenkommen, ist äußerst selten und als Surfer feierst du solche Momente in vollen Zügen.“

An einem sonnigen Februarmorgen sitzen der Philosoph Aaron James und ich nördlich von Santa Barbara im Wasser. Ich muss lachen, denn so selten wie perfekte Bedingungen so ungewöhnlich ist auch Aaron James selber. Der in San Clemente aufgewachsene, lebenslange Trestles-Ripper, der sich die Philosophie zum Beruf gemacht hat, lehrt heute als Professor an der University of California in Irvine. Dort ist Aaron der Leiter des Fachbereichs Philosophie und nebenbei gefeierter Autor des „New York Times“-Bestsellers „Assholes: A Theory“, einer Studie, die der provokanten Theorie nachgeht, dass Arschlöcher, wie man sie in jedem Line-up findet, auch an Land konkrete und somit berechenbare Fieslinge sind.

Im Herbst dieses Jahres erschien sein neues Buch „Surfing with Sartre“, das im Wissen des Wellenreiters einen Weg aus der gegenwärtigen Sartre’schen Existenzkrise erkennt und zugleich Antworten auf existenzielle Fragen um Freiheit, Kontrolle, Gesellschaft, Arbeit und Glück bietet.

Zurück im Line-up erklärt Aaron mir seine Theorie ausführlicher. „Als Surfer musst du unheimlich anpassungsfähig sein. Nicht nur die Bedingungen verändern sich stetig, die Welle selbst ist im kontinuierlichen Flow. Als guter Surfer reagierst du auf diesen Flow, verstehst ihn intuitiv und passt dich ihm körperlich an.“ In seinem neuen Buch nennt Aaron diese Surfern eigene Fähigkeit „adaptive attunement“, eine Art anpassungsfähige Abstimmung mit der Welle. Als Surfer, davon ist Aaron überzeugt, bist du in der Lage, dieses auf dem Meer entwickelte „attunement“ auf dein restliches Leben zu übertragen. Weil du dich aktiv den Wellen (und Stolpersteinen) des Lebens anpasst und weil du erkennst, dass du über viele Dinge ohnehin keine Kontrolle hast, schenkt dir dieser Einklang mit dem Alltags-Flow mehr Bewusstheit, mehr Lebensfreude und letztlich auch mehr innere Freiheit:

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Being adaptively attuned to a changing natural phenomenon, in part by not needing to control it, is at once a kind of freedom, self-transcendence, and happiness... To a surprising degree, I submit, what is valuable in human life is a matter of being adaptively attuned – a way of “surfing”, in an extended sense. Whatever is happening, the surfer has to sense it and adapt. The surfer has to sense what next moment is approaching, and adjust as the coming moment asks, before the wave’s curl passes one by.  - Aaron James, „Surfing with Sartre“

In seinem Kapitel über Flow bekräftigt Aaron, dass diese dynamische Beziehung zwischen Surfer und Welle nur durch viel Hingabe, Geduld und Disziplin erreicht werde. „Entgegen allen Vorurteilen sind Surfer sehr disziplinierte Menschen“, versichert er mir, während wir auf eine Setwelle warten. „Die besten Surfer wissen genau, wie sie sich dem Flow der Welle anpassen müssen, um immer wieder in die Pocket zu gelangen, und um dort zu bleiben, musst du verdammt viel üben.“

Im Flow zu sein bedeutet folglich nicht nur genug Talent oder ausgeprägte Intuition, sondern auch harte Arbeit und eine Menge Geduld. Nicht nur im Wasser, sondern auch jedes Mal wenn du ans Meer fährst, dort mit schlechten Bedingungen konfrontiert wirst und dann trotzde surfen gehst. Irgendwann belohnt dich das Meer mit dem perfekten Tag. Aaron ist überzeugt, dass das Glücksgefühl solcher Peak-Momente so außergewöhnlich ist, dass es sich auf dein gesamtes Leben auswirkt.

Es sind diese erhabenen Momente“, meint Aaron, „die du übrigens auch an schlechten Tagen erlebst, die dem Surfen seine transzendentale Schönheit verleihen.“ – „Warum transzendental?“, frage ich den Professor stirnrunzelnd. Er lacht verständnisvoll: „Weil du durchs Surfen mit der Natur in Einklang trittst und dich als Körper erfährst, der die Welle surft, dir aber gleichzeitig bewusst bist, ein Teil des Ganzen zu sein. In solchen Momenten wächst du über dich selbst hinaus. In der Philosophie nennen wir das Selbst-Transzendenz.“ Jetzt muss ich lachen: „Die Philosophie bestätigt dir also, dass Surfen das Schönste ist, was du mit deiner kurzen Lebenszeit machen kannst?“ Aaron scheint meine Frage zu ignorieren. Mit zwei schnellen Zügen paddelt er in die blau schimmernde kopfhohe Wand, doch bevor die Welle ihn davonträgt, dreht er sich noch mal blitzschnell um und grinst mir zu:
Stay in the pocket, bro!“