„Sven Marquardt stellt seine Surfer-Porträts aus Sydney aus“ - So lautet Anfang des letzten Jahres die Ankündigung der Galerie Deschler in Berlin-Mitte. Ein unerwartetes Projekt. Deutsche Stil-Ikone, international anerkannter Mode- und Kunstfotograf, All-Around-Creative und einer der schrillsten Protagonisten der deutschen Techno-Clubszene. Wie kommt es, dass sich Jemand wir er für Beach-Lifestyle interessiert?

 

Dieser Artikel erschien im aktuellem Yearbook 2020. Der ganze Artikel, inklusive der „Surfer Sydney“ Porträts, ist in gedruckter Version verfügbar. Denn gedruckt liest es sich immer noch am besten. Zu den Yearbooks geht es hier.

Bis zum 29. November könnte ihr außerdem Sven Marquardts aktuelle Fotoausstellung „StageLess“ im Friedrichstadt-Plast in Kooperation mit C/O Berlin besuchen. Der Eintritt ist kostenlos und die Ausstellung ist definitiv einen Trip wert!

 


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DENN DER HAT AUF DEN ERSTEN BLICK so gar nichts gemeinsam mit der pulsierenden Stadtmetropole Berlin und dem melancholisch düsteren Umfeld und Werk, für das in unseren Köpfen der Name Sven Marquardt steht? Wir fanden die Kombination extrem spannend und wollten mit ihm reden. Der gebürtige Berliner, dessen fotografische Wurzeln weit zurück in die New-Wave-, Kunst- und Modeszene Ost-Berlins in den 80er Jahren reichen, ist nur schwer zu greifen. Es dauerte über ein Jahr, bis das Blue-Team Sven Marquardt endlich im Soho House gegenüber saß und er seine ganz persönliche Perspektive des Surfer-Projekts erklärte. Wir wollten verstehen, was ihn an diesem Projekt interessiert hat, wie seine Wahrnehmung der Menschen war und ob er, der Stadtmensch, einen Zugang zum Surfer-Lifestyle an den Stränden zwischen Bondi und Bronte fand.

Alles begann mit einer Einladung des Goethe-Instituts für eine dreimonatige Art Residency in Sydney. Die Idee, Surfer zu fotografieren, kommt erst später über einen Freund. „Ich dachte erst, dass das fast ein bisschen klischeehaft ist, aber ein Nachtleben gibt es in Australien nicht“, erklärt Sven. Er findet Zugang zu einer Gruppe Surfern am Whale Beach und begleitet sie über fünf Wochen jeden Morgen an den Strand. Vor allem Porträts ihrer Gesichter, kurz nachdem sie aus dem Wasser kommen, interessieren ihn. „Es war zunächst eine psychische und physische Herausforderung. Das Wetter war schlecht, es regnete permanent. Ich dachte erst, ich werde an diesem Projekt scheitern.“

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 Sven Marquart Head
Sven Marquardt by Ole Westermann

 

An einem freien Tag wird Sven auf einmal klar, dass er und die Surfer Sydneys durchaus eine Gemeinsamkeit haben: die Sehnsucht nach Freiheit. In einer Diktatur groß geworden, ist Freiheit für Sven seit lan-gem ein zentraler Lebensaspekt.

„Als Punk und New Wave in Prenzlauer Berg ankamen, sprühten wir uns die Haare hoch, machten ‘nen Schmollmund und erzählten allen: ‚New York ist da, wo wir sind‘, nur um dann schmerzlich festzustellen, dass wir nicht wegkönnen.“ Die Erfahrung, nach Australien reisen zu können und Zeit am Strand mit Menschen zu verbringen, die ihr Leben nach den Gezeiten ausrichten, ist für Sven eine neue Facette von Freiheit: „Eine Art von Freiheit, der ich mich anfangs fast nicht gewachsen fühlte.“ Er vergleicht die Surfer in Whale Beach mit der Clubszene Berlins. „Beide suchen nach Freiheit. Manche stellen sich auf die Welle, manche tauchen ab.“ Sven be-zeichnet die Surfer als „echt“. „Ich habe sie angesprochen für Fotos, niemand wusste dort, wer ich bin. Sie waren offen dafür.“ Rückblickend war für Sven Marquardt das Projekt eine „tiefe Erfahrung“. „Ich werde immer noch emotional, wenn ich mir das Making-of-Video ansehe. Ich war am anderen Ende der Welt. Wer weiß, ob ich jemals wieder dort hinkomme. Und ich hatte mit meinem Assistenten jemanden an meiner Seite, mit dem ich alle Erlebnisse teilen konnte.“ Auf die Frage, ob er sich selbst mal auf ein Surfboard gestellt hat, lacht er: „Ne, da habe ich gekniffen.“

 


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Credits

Words: Tom Köhl
Foto: Ole Westermann
North Magazine, Australia