William Finnegan Nno Berlin

William Finnegan's Autobiografie "Barbarian Days" bringt das ungreifbare, flüchtige Glück des Surfens Seite für Seite so treffend auf den Punkt, dass man als Leser ständig das Gefühl hat, eigene Erfahrungen im Meer durch die Erzählungen des Protagonisten zum zweiten Mal zu erleben. Das Buch erzählt in unnachahmlicher Weise von Finnegans intensivem Leben und begeistert durch klare Gedanken zu großen Emotionen. Dieses Jahr ist mit "Barbarentage" die deutsche Übersetzung im Suhrkamp Verlag erschienen - In der fachlichen Regie von BLUE Chefredakteur Jens Steffenhagen. Aus der Zusammenarbeit von Jens und William ist schließlich auch das Interview im Yearbook 2018 entstanden. Und jetzt das Beste für Finnegan-Fans und alle, die es nach der Barbarentage-Lektüre ganz sicher sein werden: William Finnegan kommt am Freitag den dritten August für eine exklusive Lesung nach Berlin zum 6. NNO Surf Film Fest Berlin! Als Mediapartner des Festivals können wir euch schon mal auf die Lesung einstimmen und veröffentlichen hier das Finnegan-Interview in voller Länge:

Text: Jens Steffenhagen

Bill Finnegan ist ein Phänomen: Nach dem weltweiten Jubel über sein Buch „Barbarian Days“, das selbst Barack Obama empfahl und für das Finnegan 2016 den Pulitzerpreis als beste Biografie gewann, könnte man annehmen, dass er den Ritt auf der Erfolgswelle durch PR-Arbeit zu verlängern sucht. Doch anstelle öliger Ami-Floskeln bekommt man bei dem Versuch, sich für ein Interview zu verabreden, zur Antwort: „Jens, my schedule next week will be highly surf-dependent. We are expecting a major storm in New York. I’m afraid I will be chasing waves until the swell dies.“ Als ich bei der „New York Times“ am nächsten Morgen nachsehe, welche Bedingungen er meint, lese ich: „You’re waking up to the biggest storm of the year. There will be heavy rain and some snow mixed in, but the biggest concern for New York City and Long Island will be the damaging winds.“ Bill Finnegan ist 65 Jahre alt und lässt immer noch alles stehen und liegen, um sich in 4 °C kalten Sturm-Surf zu schmeißen. „I am still chasing it“, so sein Kommentar.

Finnegan Scott Winer

Der Mann hat es wie kaum ein anderer geschafft, eine erfolgreiche Karriere (in seinem Fall: journalistische Karriere) fernab der Surf-Szene zu gestalten – und dennoch sein ganzes Leben lang sehr gute und sehr große Wellen zu jagen. Nach vier Sachbüchern über politisch bedeutsame Themen, etwa die Apartheid in Südafrika oder mexikanische Drogenschmuggler, hat Finnegan mit „Barbarian Days“ ein Buch geschaffen, über das mein Freund Jochen sagt: „Er schreibt es so, dass man es fühlt.“ Das Surfen. Und das ist eine große Leistung, denn an diesem Versuch sind die meisten Autoren bisher gescheitert. Die seitenlangen Wellenbeschreibungen, die einzelnen Sessions, die in epischer Länge nachgezeichnet werden – sie werden nie langweilig, weil sie so toll erzählt sind, dass man selbst mit ihm im Line-up von Cliffs, Oahu, zu sitzen glaubt. Oder meint, neben Bill in letzter Sekunde über eine große Jardim-do-Mar-Schulter zu paddeln. Oder das Zehn-Wellen-Set am Horizont von Ocean Beach heranrauschen spürt. Sein Stilmittel ist dabei die Hemingway’sche Coolheit: Er findet genau die richtigen Worte und braucht deshalb sehr wenige, um es auf den Punkt zu bringen.

Ich rufe Bill in der Woche nach dem Swell an. Obwohl er aus Kalifornien kommt und seine Kindheit auf Oahu verbrachte, redet er wie ein New Yorker: fast, snappy, in your face. Und auch sehr viel – besonders über Wellen. Die erste Stunde verbringen wir ausschließlich mit Beschreibungen von Sessions in Montauk und Long Island, die jeder von uns dort erleben durfte. Das Vertrauen ist da, Interview kann nun beginnen.

BLUE: Bill, wir Norddeutschen surfen viel in der Nordsee in ziemlich kaltem Wasser und in mittelmäßigen Wellen. Trotzdem hat diese Szene ein ganz besonderes Flair. Wie stehst du zum Kaltwasser-Surfen?
BILL FINNEGAN: Ganz ehrlich: Ich finde es schrecklich! Jedes Mal wenn ich nach Hawaii, Fidschi oder Bali komme, stelle ich fest, dass ich ja doch surfen kann. Die Takeoffs sitzen dann, ich schaffe gute Turns, fühle mich fit. Das ist in kaltem Wasser völlig anders. Einen dicken Neo anzuhaben behindert mich wahnsinnig. Aber ich lebe nun mal seit Langem in New York, und wenn du hier regelmäßig ins Wasser kommen willst, darfst du nicht wählerisch sein.

Du bist ja aber auch viel unterwegs und erlebst sehr unterschiedliche Wellen: Welche Boards surft William Finnegan?
20 Jahre lang surfte ich ausschließlich Custom-made-Bretter von Owl Chapman, einem legendären hawaiianischen Shaper. Immer ungefähr das gleiche Modell, ein Thruster, lang und mit viel Volumen. Doch eines Tages saß ich im Line-up von Blacks, San Diego, und lernte dort Rusty Preisendorfer kennen. Er gab mir sein Board, ein Rusty Quad. Es war ziemlich groß an dem Tag und ich hatte es aus wenigen Tubes wieder herausgeschafft – doch dieses Quad war das schnellste Brett, das ich jemals unter den Füßen hatte. Seitdem surfe ich nichts anderes mehr. Ich war noch nie besonders an Shapes und den neuesten Moden interessiert. Ich brauche ein Brett, das funktioniert, fertig.

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Surfen war für dich immer ein ganz wichtiger Teil deines Lebens, ist es ja anscheinend heute noch. Warum hat es so lange gedauert, bis du ein Buch über das Surfen geschrieben hast?
Surfen war immer meine Leidenschaft – aber es war nichts, worüber man redete. Man tat es einfach. Darüber zu schreiben ist mir lange gar nicht in den Sinn gekommen. Anfang der 90er bewarb ich mich bei dem Magazin „The New Yorker“ und schlug ihnen unter anderem eine lange Geschichte über meinen Freund Marc „Doc“ Renneker vor, eine prägende Figur der Surf-Szene San Franciscos – ohne dass „Doc“ davon wusste. Ich hatte einfach das Gefühl, es sei spannend, anstatt immer nur aus dem Innenleben zerrütteter Gesellschaften in Afrika auch mal aus dem Innenleben einer verschlossenen, komplexen Szene zu berichten. „Playing Doc’s Games“ wurde ein Erfolg und von da an dachte ich immer mal wieder darüber nach, mein Leben als Surfer in Buchform zu veröffentlichen.

Finnegan Barbarentage

Wie lange hast du denn letztendlich an „Barbarian Days“ gearbeitet?
Über einen Zeitraum von zehn Jahren habe ich das Projekt verfolgt. Aber natürlich habe ich in dieser Zeit auch viel journalistisch veröffentlicht und bin gereist, sodass die Arbeit nicht wirklich kontinuierlich war. Zum Glück habe ich früh angefangen, Tagebuch zu führen – ohne diese Dokumente wäre es unmöglich gewesen, 50 Jahre meines Lebens so detailliert zu rekonstruieren.

Nun bist du ein Promi in der Surf-Welt. Ich habe noch nie ein böses Wort über dich gelesen – wie reagieren die Leute im Wasser, wenn sie dich erkennen? Schenken sie dir vor Rührung Wellen?
Ganz im Gegenteil! Letztes Jahr war ich an einem der besten Tage an einem Secret Spot in New Jersey. Im Wasser nur eine Handvoll Locals, ein sehr gut surfender Australier und ich. Es kommt die Bombe des Tages auf uns zu, ich bin in perfekter Position und paddel. Der Aussie an meiner Inside paddelt auch, guckt mich dabei an und sagt: „Bist du nicht Finnegan?“ Und während ich kurz hinüberschaue, snakt er mich, droppt rein in diesen fantastischen Peak und ruft mir über die Schulter zu: „Good book!“ Für meinen Ruhm kann ich mir scheinbar nichts kaufen.

Dein Buch wurde auch von Nicht-Surfern gefeiert. Wie stehst du der Kommerzialisierung des Surfens, also dem Versuch, mehr Menschen für das Surfen zu begeistern, gegenüber?
Wer vom Surfen träumt, der wird damit anfangen, auch wenn er in Arizona aufwächst. Aber wo steckt der Sinn darin, die Popularität des Surfens künstlich zu steigern? Ich kenne niemanden, der davon profitiert. Wer hat etwas von den Olympischen Spielen? Die Surf-Industrie, ein paar Pros, vielleicht die Surfschulen – aber sicher nicht die Surfer, die die Szene ausmachen. Mein Mantra heißt: „Leave surfing to the people who find it.“

Ein gutes Mantra! Was kommt als Nächstes für dich?
Ich arbeite an einem Buch über meine Jahre als Bremser bei der Southern Pacific Railroad Mitte der 70er. Das war als junger Mensch eine sehr prägende Zeit für mich – der Job ist hart und gefährlich, die Eisenbahner haben eine eigene Sprache bei der Arbeit, unglaublich viele Codes, sind stolz und dementsprechend gut organisiert. Im Vergleich zum Surfen und auch zum Schreiben fühlt sich diese Welt sehr echt an. Die Eisenbahn ist ein Mythos Kaliforniens, der Treck gen Westen wäre ohne sie nicht möglich gewesen. Dichter wie Woody Guthrie oder Jack Kerouac priesen das Leben der Hobos, die als blinde Passagiere das Land durchquerten. Das inspirierte mich damals dazu, den Job anzunehmen, und heute, dieses Buch zu schreiben.

Klingt spannend. Viel Spaß dabei!

Am 03.08. habt ihr die Chance Finnegan auf dem NNO Surf Film Fest Berlin live zu erleben! Alle Infos zum Festival und der Lesung gibt's auf der NNO FB-Eventpage.

Barbarentage Cover

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Die deutsche Ausgabe von "Barbarentage", erschienen im Suhrkamp Verlag, ist unsere Buch-Empfehlung für den Sommer und hier erhältlich: https://amzn.to/2miUHNQ.