Sidecut Revolution2 Headerslider

Übersetzung: Jan Blaffert
Fotos: @dustydarkroom & Josh Keogh

Josh Keogh ist als Shaper ein echtes Unikat. Aus beinahe spiritueller Überzeugung widmet er sich seit Jahren der Weiterentwicklung traditioneller Twinfins – und geht dabei sehr akribisch vor. In seinen Boards greift er klassische Templates aus den Siebzigern, Achtzigern auf und kombiniert sie mit innovativen Design-Theorien. Das Großartige ist, dass der junge Australier das komplette Gegenteil zum verschlossenen, grimmigen Shaper-Stereotyp darstellt und seine abgefahrenen Projekte bis ins kleinste Detail mit uns teilt. Es folgt eine Abhandlung über seinen Beitrag zum Sidecut-Fish.


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Sidecut-Shapes haben ihren Ursprung im Snowboard-Design. 1972 entwickelte der Surfer Dimitrije Milovich den WinterStick mit messerscharfen Kanten, großzügigem Torsional-Flex und dem typischen, auslaufenden Swallow-Tail. Dieses ungewöhnliche Design eröffnete über den Einsatz der Kanten völlig neue Möglichkeiten, war der Schlüssel zu radikalen Carves und ein Meilenstein für das Snowboarden, wie wir es heute kennen. Doch es war der japanische Snowboarder und Surfer Taro Tamai, der die markanten Shapes Ende der Neunziger endgültig in den Mainstream brachte. Unter dem Label „Gentemstick“ vertiefte er sich in die Sidecut-Design-Theorie und entwickelte einzigartige Bretter für das Backcountry. Es waren diese Designs, die das Powder-Surfen wirklich vorantrieben und von Hokkaido aus in die Welt trugen. 

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Mit meinem guten Freund und Mentor Mick Mackie schließt sich der Kreis. Mick hat es sich zur Aufgabe gemacht, die radikalen Innovationen und subtilen Nuancen der Sidecut-Shapes wieder für Surfboards einzusetzen und damit eine funktionale Brücke zwischen Tiefschnee und Wellen zu bauen. Und ich bin überzeugt, dass er damit einer Shaping-Revolution auf der Spur ist. Seit Jahren arbeite ich mich akribisch durch sämtliche Archive der Snow- und Surf-Sidecut-Templates, im festen Glauben, dass diese Bretter das Potenzial haben, ein völlig neues Performance-Paradigma zu schaffen. Doch bis wir soweit sind, muss noch vieles passieren. Vor allem sollten wir uns von den ästhetischen Vorgaben und Einschränkungen des modernen Shortboards befreien und den momentanen Innovationsstillstand endlich überwinden. Im Folgenden möchte ich meine Design-Theorie im Detail besprechen und damit hoffentlich weitere Argumente für die Sidecut-Revolution liefern.

Outline & Rocker

Das Erste, was bei diesen Brettern ins Auge springt, ist die unkonventionelle Outline. Dabei basiert sie auf einer etablierten Shape-Formel: Je gerader die Outline und je flacher der Tail-Rocker, desto mehr Speed und Drive hat das Board. Umgekehrt sind kurvigere Bretter mit mehr Rocker wendiger, dafür aber auch langsamer auf der Welle. Nehmen wir das klassische Lis Fish als Beispiel: Kerzengerade Outline mit minimalem Tail-Rocker, wie gemacht für langgezogene Carves und Down-The-Line-Speed. Also gilt prinzipiell: „straight is fast“, und mehr Rail im Wasser bedeutet mehr Drive. Ein modernes Performance-Shortboard forciert durch mehr Rocker und eine kurvigere Outline genau das Gegenteil: Es hat einen viel engeren Radius in Turns, büßt dafür aber an Geschwindigkeit ein.

Was hat es also mit den abgefahrenen Kurven der Sidecut-Fishes auf sich?

Nun, sie sind ein Versuch, das Beste beider Shapes zu vereinen. Im unteren Drittel des Designs kehre ich die Outlines um und lasse das Tail (mit wesentlich mehr Rocker) wie beim WinterStick parallel auslaufen. Je tiefer und extremer dieses Swallow-Tail ausfällt, desto wendiger wird das Board – alles wie gehabt. Allerdings wird so auch das Rail der Outline nach hinten heraus verlängert und der Kompromiss zwischen Beweglichkeit und Drive umgangen. Oder anders gesagt: Die elliptischen Outlines konventioneller Shortboards sind sich im Wasser quasi selbst im Weg, während die Sidecut-Outline einen dynamischen Drehpunkt bietet. Ein ziemlich australisches, aber passendes Beispiel aus der Natur wäre die Richtungsänderung eines Haies. Der Kopf leitet die Drehung ein, der Körper bildet eine C-Form, und das Zusammenspiel aus Wasserwiderstand und der Flexibilität der Schwanzflosse lassen den Hai um die innere, konkave Kurve drehen. Mir geht es hierbei hauptsächlich um den Unterschied zwischen statischer und dynamischer Form. Die Kurven der Natur sind eine wichtige Inspirationsquelle, ja fast schon eine Blaupause für Surfboards im Allgemeinen. Doch die schönen parabolischen Kurven der Fische und Vögel, die für viele Boards Modell stehen, ändern sich vollkommen, sobald sie in Bewegung sind. Und im Zusammenspiel mit Luft- und Wasserwiderstand kommt in der Dynamik immer wieder die umgekehrte, konkave Kurve ins Spiel.

Die Natur bietet also nach wie vor die besten Vorbilder, wir müssen nur unsere Perspektive anpassen.

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Harte Kanten

Der Heilige Gral der Shape-Theorie ist die perfekte Kombination aus Speed und Kontrolle – ein Zusammenspiel aus „Hold“ und „Release“. Harte Kanten im Tail sind ein altbewährtes Performance-Element moderner Boards und sorgen für den nötigen „Release“. Zieht man die harte Kante jedoch das gesamte Rail bis zur Nose durch, verpufft der Effekt und das Brett fährt sich plötzlich wie auf Schienen – zumindest mit konventionellen Bottom-Konturen. Boards mit Forward-Concave im Bottom beißen sich nämlich in der Welle fest. Denn in Verbindung mit dem Concave wird die harte Kante zum ersten Kontaktpunkt der Wasseroberfläche und versinkt statt zu gleiten. Die Lösung für dieses Problem kam mir in einem meiner unzähligen Sidecut-Prototypen: Um die Rails über Wasser zu halten, musste ich sie im vorderen Teil des Boards stark abschrägen und die Bottom-Konturen anpassen – also Vee statt Concave und ein sogenannter Rail Bevel. Zusammen sorgt es dafür, dass das Rail erst aktiviert wird, wenn sich der Surfer so richtig in den Turn lehnt, dann aber in voller Länge. Das Ergebnis ist ein sehr schnelles, agiles Board, mit unglaublichem Drive.

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Flex & Recoil

Tail-Rocker ist ein wesentlicher, aber nach wie vor oft übersehener Aspekt wirklich guter Shapes. In Kombination mit der Outline ist es das wichtigste Designprinzip, das den Radius und den Drive durch einen Cutback oder Top Turn bestimmt. Flextails sind die nächste Stufe dieses Prinzips. Durch die besondere Bauweise wird der Tail-Rocker plastisch, passt sich der Form der Welle und dem Input des Surfers an. Die Konstruktion wird ihrem Namen gerecht, wenn sie aus Turns regelrecht rausfedert – das nennen wir dann Recoil. Und damit wären wir wieder in der Natur. Jeder Recoil des Flextails beschleunigt den Vorwärtsantrieb des Brettes, ähnlich wie die Schwanzflosse eines Delfins. Der Surfer zapft hier bei jedem Turn die gespeicherte kinetische Energie an. Im Wesentlichen schafft der Recoil eines Flex-Tails eine konkrete Verbindung zwischen der vom Surfer ausgeübten Kraft (Aktion) und dem Output (Reaktion) des Brettes.

Gleichzeitig passt sich das Brett der Form der Welle so nahtlos an, dass sich das Ganze unwahrscheinlich präzise anfühlt.

Sidecut Revolution Einleitungsbild

An dieser Stelle verneige ich mich nochmals vor den Pionieren des Flextail-Designs, insbesondere George Greenough und Mitchell Rae. Es ist schon erstaunlich, was ihre Innovationen vor all diesen Jahren angestoßen haben und wie weit sie ihrer Zeit voraus waren.
Denn das Sidecut-Flextail-Design ist auch über 50 Jahre später noch eine Randerscheinung, und es gibt weiterhin viel zu erforschen. Für meinen Teil werde ich nicht aufgeben, das grenzenlose Potenzial dieses Shapes zu entschlüsseln.

Viva la revolución.