(Das Feature in voller Länge erschien im Blue Yearbook 2017)

Egal ob man ihre Erfolge feiert, ihren style oder ihre Persönlichkeit: Stephanie Gilmore ist Everybody’s Darling. Also wollten wir ihr auf den Zahn fühlen: wie geht das, immer so happy zu sein?  

Wie hat sie zu sein, die Surferin von heute? Punktet sie als elegante Longboarderin oder shreddet sie auf dem kürzesten Brett? Am liebsten beides. Sexy und feminin, dabei aber tough. Nicht zu vergessen unkompliziert und burschikos. Aber nicht zu sehr, sonst wirkt sie langweilig und das ist wiederum unattraktiv. Schubladen gibt es viele, die Klischees reichen in jede vorstellbare Himmelsrichtung. Sollten Frauen überhaupt surfen? Definitiv. Doch die Meinungen, wie sie es „richtig“ machen, könnten unterschiedlicher nicht sein, insbesondere aus den männlichen Reihen. Wie soll man da noch durchblicken, mit geradem Rücken und stolzer Brust über die Meere dieser Welt gleiten, ohne nach links und rechts zu schauen? 

Steph Gilmore Yearbook Bluemagazine
Schwebt über den Klischees: Stephanie Gilmore.

Eine Frau, die sich von dieser ganzen Stereotypisierung unbeeindruckt zeigt, ist Stephanie Gilmore. Sie dominiert die Contest-Szene, sahnt die besten Werbedeals ab, ist der Liebling der Fotografen und Filmemacher und bleibt dabei völlig entspannt. 2010 erhielt sie den Laureus World Sports Award – als Surferin. Mainstream-Erfolg, der ihr ohne jede Verbissenheit einfach in den Schoß fällt. Dabei ist es nicht so, dass der Wahnsinn der Welt vor ihr haltmachen würde. 2010 lauerte Stephanie ein Irrer in ihrer eigenen Garage auf, schlug mit einem Holzbalken auf sie ein und verletzte sie so sehr, dass sie monatelang nicht ins Wasser konnte. Ihr Leben stand plötzlich kopf, sie verlor ihren Rhythmus und musste sich ihre mentale Kraft mühsam wieder erarbeiten. Es folgte eine schwere Zeit, die sie surftechnisch und emotional aus der Bahn warf. Das Gefühl von Unsicherheit war für sie eine völlig neue Erfahrung. Begegnet man Steph heute, so ist von diesem Schrecken nichts mehr zu spüren. Diese Frau ist geerdet. Bei sich.

Doch wieso und warum? Wer ist eigentlich Stephanie Gilmore? Sie hebt sich klar von den Alanas dieser Welt ab – und das ist heutzutage ja schon mal was. Sie spammt keinen ihrer Social-Media-Kanäle mit Banalitäten zu und quatscht ihre Follower auch nicht über die neuesten Bikinis oder ihre BFF voll. Lieber spielt sie Gitarre. Ihr Privatleben behält sie für sich. Ihre positive und gelassene Ausstrahlung versetzt viele ins Schwärmen, genau wie ihr Surfstil. Für Underground-Filmemacher Andrew Kidman ist sie der „weibliche Tom Curren“. Kidman widmete ihrem Single-Fin-Filmpart in „Spirit of Akasha“ ein ganzes Fotobuch: „Single – Studies of Movement“. Ob Stephanie Gilmore jetzt wie ein sehr geschmeidiger Mann oder eher wie eine technisch perfekte Frau surft, solche Kategorisierungen sind ihr wahrscheinlich egal, denn die Frauen in ihrer Familie sind deutlich in der Überzahl. Sie ist die jüngste der drei Gilmore- Schwestern, somit gab es nie eine Geschlechterdifferenzierung.

Steph Gilmore Blue Yearbook Interview
Style for miles: Einfach mal die Highline wählen und fliegen.

Es wäre naiv zu behaupten, dass sich die Surf Culture und die dazugehörige Industrie mit den bunten Federn der Gleichberechtigung und Toleranz schmücken könnten. Noch immer finden Debatten über die unterschiedlichen Gehälter von Männern und Frauen statt, ein positives Ende scheint so schnell nicht in Sicht. Doch durch Menschen wie Stephanie Gilmore findet ein Paradigmenwechsel statt, der vielen Frauen zu einem völlig neuen Selbstbewusstsein verhilft und sie vielleicht endlich aus der schon viel zu lange existierenden Klischeefalle befreien könnte. Kein Zweifel, Stephanie ist die Surferin von heute und morgen. Daher haben wir sie zum Interview gebeten.

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Moin Stephanie, vielen Dank, dass du dir für uns die Zeit nimmst. Was liegt bei dir nach einer Surf-Session an?

Es kommt ganz darauf an, wo ich bin. Momentan läuft Kirra so gut wie schon lange nicht mehr. Nach meinem morgendlichen Early Bird Surf gehe ich zum Frühstück in mein Lieblingscafé. Typisch australisch mit Cappuccino, Eiern, Avocado und frisch gebackenem Sauerteig-Toast. Im Anschluss an unser Gespräch geht es dann wieder sofort zurück ins Wasser.

Das hört sich göttlich an! Was ist es, das dich vorantreibt und dir Kraft gibt? Fällt es dir manchmal schwer, dich zu motivieren und fokussiert zu bleiben?

Das Reisen, neue Wellen und Kulturen, großartige Erfahrungen und fröhliche Menschen treiben mich an – es ist dieser magische Lifestyle abseits der Tour, der meine Freude am Wettbewerbsleben im Gleichgewicht hält.

Steph Gilmore Power Turn Yearbook
Steph laying it on rail.

Wie sieht deine Contest-Routine aus? Gibt’s da einen abgefahrenen Tanz oder eine besondere Yoga-Pose? Vielleicht einen bestimmten Song, den du dir anhörst, bevor es aufs Wasser geht?

Das ändert sich mit meinem persönlichen Befinden, je nachdem, wie ich drauf bin und welche Energie der Contest ausstrahlt. Die einzige Konstante ist, dass ich mich so mit meinem Körper verbinde, wie er sich in diesem Moment an jenem Tag fühlt – wenn ich also Lust darauf habe, mir 70er-Disco oder Punk reinzuziehen, dann mache ich das. Es geht darum, sich zu fokussieren und völlig entspannt zu bleiben, egal was du an diesem Tag empfindest. Ich liebe es, herzliche Leute um mich zu haben und die Sachen fröhlich und spaßig zu handhaben.

Die Surf-Industrie und das Touren können bestimmt sehr aufreibend sein – wie gehst du mit Stress und Negativitäten um?

Das stimmt, und manchmal kann es auch sehr überwältigend sein, den ganzen Quatsch zu hören. Der Buschfunk kann definitiv sehr lustig und unterhaltsam sein. Die Leute vergessen manchmal, wieso wir das Ganze überhaupt machen. Am Ende des Tages geht es ums Surfen und darum, dabei den größtmöglichen Spaß zu haben. Ich liebe es, wenn die guten Surfer mit Soft Tops oder Funboards rausgehen, um die Stimmung zu heben, und sich daran erinnern, wie dieser Lifestyle überhaupt zustande kam. Und das ist auch, was ich an Kelly so bewundere. Er surft immer noch genauso viel wie ein Grom. Er schaut sich die Swell-Charts an und findet neue Wellen, die er entdecken kann. Er liebt es zu surfen und das ist alles, was du brauchst.

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Single-Fin Gliding.

Wie wichtig sind dir Beziehungen in deinem Leben?

Sehr, aber nicht nur die mit Personen. Es ist mir sehr wichtig, meine Beziehungen mit meinen Freunden und meiner Familie zu pflegen, aber ich muss auch an meiner Beziehung mit dem Wettbewerbs-Surfen arbeiten, überhaupt mit dem Surfen und auch mit dem Reisen. Unabhängig zu sein und die Fähigkeit zu besitzen, allein zu sein und dazu noch glücklich, ist genauso wichtig wie meine gesamte Zufriedenheit mit meinem Leben. Persönliche Beziehungen sind schwer zu handhaben, wenn du immer unterwegs bist. Aber du triffst Freunde, die genauso ticken und auf der ganzen Welt verstreut sind, und wir haben immer noch so viel Spaß miteinander – auch wenn das letzte Treffen schon ein halbes Jahr zurückliegt. Offen, unvoreingenommen und nicht zu hart zu sich selbst zu sein, das sind meines Erachtens nach die wichtigsten Eigenschaften, um glücklich zu sein.

(Das Feature in voller Länge im Blue Yearbook 2017)

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Photo-Credits:

Morgan Maassen