Mr. Pipeline, Yogi, Filmstar, Stilikone – Gerry Lopez steckt in vielen Schubladen. Die meisten davon hat er selbst beschriftet, denn schon Surf-Historiker Matt Warshaw wusste: „Lopez ist die letzte geheimnisvolle Figur der Surfszene. Du siehst nur das, was er dich sehen lassen will." Wirklich?
Dieser Artikel erschien im Blue Yearbook #23. Gedruckt lesen sich solche Storys immer noch am besten. Alle Yearbooks kannst du ganz bequem im Blue-Shop kaufen >> dort gibt es die fast 200 Seiten dicke Ausgabe.
Yin & Yang
& Pipeline
Die Amis haben für ihren sehr ausgeprägten Starkult tolle Formulierungen erfunden. Eine davon ist „bigger than life“. Also jemand, der aufgrund seiner ikonischen Perfektion wie ausgedacht wirkt. Nicht mehr menschlich. Eher wie eine Comicfigur. Ein Superheld, weltweit bekannt, in den Medien lebend. Beckham. Obama. Snoop Dogg. Gerry Lopez. Deshalb war es ein witziger Moment, als beim Mittagessen mit Freunden eine Mail aufleuchtete mit dem Betreff „Hey“. Absender: Gerry Lopez. Patagonia hatte uns connected, um ein Interview abzusprechen, was Gerry auch gerne tat. Freundlich (er nannte die BLUE eine „wonderful publication“) und nur das Nötigste schreibend (in diesem Telegramm-Stil, den Menschen über 70 in elektronischer Kommunikation gerne verwenden) schlug er einen Termin vor. Ein paar Tage später trafen wir uns auf dem Bildschirm. Ihm schien eine warme Morgensonne ins Gesicht. Das soll Oregon im Winter sein?
Foto: Jeff Divine
BLUE: Hi Gerry! Schön, dass es geklappt hat. Wo bist du gerade?
GERRY LOPEZ: In Mexiko. In meinem Winter-Retreat. Ich lebe mittlerweile einen Teil des Jahres hier.
Dann bist du also nach fast dreißig Jahren in den Bergen Oregons wieder zurück am Meer? Wie kam das?
Surfen ist in meinem Alter einfacher als Snowboarden. Man fällt weicher!
Solche „bigger than life“-Typen altern anders als wir. Sie gehen nicht aus dem Leim, ihnen fallen keine Haare aus, sie verändern ihre Silhouette nicht. Sie werden einfach nur kerniger, markanter. Gerry sieht genau so aus wie vor 40 Jahren, nur grauer. Die smoothe Haut, die wachen Augen, die schlanke Figur, die katzenartigen Bewegungen. Der Mann ist 74.
„Barbarian Days“-Autor William Finnegan ist ungefähr dein Jahrgang und ging ebenfalls in Honolulu zur Schule. Er beschreibt in seinem Buch, wie brutal es dort zuging. Ging es dir ähnlich?
Ja. Hawaii war damals krass. In der Schule habe ich mich fast jeden Tag geprügelt. Und meist verloren, denn die Kinder der Plantagenarbeiter waren tough! Surfen hat mir dann Selbstbewusstsein gegeben. Wenn du von anderen Surfern respektiert wurdest, dann warst du jemand. Im Hawaii der damaligen Zeit musstest du etwas darstellen. Und wenn du nicht reich warst, dann bot Surfen eine der wenigen Möglichkeiten, dir Respekt zu holen. Es gab uns eine Identität.
Wie war es denn damals im Lineup? Herrschte dort auch das Recht des Stärkeren?
Auf jeden Fall. Nach Drop-Ins gab es regelmäßig Schlägereien im Wasser. Aber das gehörte einfach dazu. Heute mag das brutal erscheinen, aber damals war es ein normaler Teil der Jugend. Manchmal war es sogar der Beginn einer Freundschaft. Nach dem Kampf gab man sich die Hand. Niemand hatte ein Messer dabei oder sowas.
Wie stehst du denn zum Localism?
Früher ließen wir die besten Surfer freiwillig die besten Wellen nehmen, weil wir sie respektierten und auch, weil wir von ihnen lernen wollten. Wir wollten sehen, was sie auf der Welle machten. Als Surfen dann immer populärer wurde, waren es nicht mehr die besten, sondern die aggressivsten, die die meisten Wellen bekamen. Doch eigentlich sollte Localism nicht existieren, denn es gibt genug Wellen für alle. Wenn du das anders empfindest, dann liegt das an deiner Einstellung. Ich habe übrigens gehört, der Eisbach in München ist heavy localised?
Allerdings! Meinst du denn, Surfen ist eine der Sportarten, deren Popularität sich in Phasen bewegt, wie Skateboarding? Oder ist es einfach zu gut, um jemals wieder unpopulär zu werden?
Es gab schon immer solche Wellen, etwa durch ökonomische Faktoren. In den Corona-Jahren etwa erlebten wir einen neuen Surf-Boom. Wann immer wir eine Rezession hatten und die Arbeitslosenzahlen stiegen, gingen auch die Verkaufszahlen der Shaper hoch. Ein Surfboard ist billig und du kannst damit lange Spaß haben, wenn du die Zeit hast. Aber es mag sein, dass auch Surfen einen Peak erlebt. Wie Stand-Up-Paddeln. Auf der anderen Seite werden jetzt so viele Wavepools gebaut.
Was hältst du von künstlichen Wellen?
Ich finde sie toll. Wir haben in der Nähe von uns die größte City-Wave der Welt. Das Ding geht durch die Decke. Mittlerweile bieten sie dort Nacht-Sessions an, um die Nachfrage zu bedienen. Es gibt im Moment einfach unglaublich viele Anfänger. Viele ältere Surfer drehen deshalb durch und fluchen über die „Kooks an meinem Spot!“. Aber eigentlich brauchst du doch nur eine gute Welle, um tage- oder wochenlang high zu sein. Manchmal kann es sogar eine Welle sein, die jemand anders gesurft ist.
Zum Beispiel deine Kinder.
Exakt! Deine Kinder in Wellen zu schubsen, ist so befriedigend wie eine eigene Barrel. Denn du erlebst die ganze Ekstase der ersten Rides selbst noch einmal.
Erzähl doch nochmal, warum du eigentlich mit Anfang Vierzig und einem kleinen Sohn von Hawaii nach Bend, Oregon gezogen bist. In die Berge. Der Schritt war für jemanden, der so eine symbiotische Beziehung mit dem Ozean hat, doch sehr ungewöhnlich.
Es war ja keine Entscheidung gegen den Ozean oder gegen Hawaii. Es war eine Entscheidung für das Snowboarden. Snowboarden war neu und aufregend und in dem Moment besser als Surfen. Die Berge waren leer, man musste nicht paddeln und konnte endlose Powder Runs surfen. Dazu kam, dass die Stadt cool war. Eine gute Community, um ein Kind aufzuziehen. Es fühlte sich nicht an, als würden wir etwas zurücklassen – wir machten vielmehr einen Schritt nach vorne!
Und jetzt ruft das Meer dich wieder?
Das Meer hat mich immer gerufen – ich habe nur nicht mehr hingehört. Weil der Ruf der Berge stärker war. Aber durch solche Phasen bin ich oft gegangen. Als Windsurfen neu war, in den 80ern auf Maui, da haben wir die Surfboards gar nicht mehr ins Auto gepackt. Und nach ein paar Jahren dann wieder gegen die Windsurfboards getauscht. Ein paar Jahren später waren wir dann wieder ganz heiß aufs Wellenreiten. Dann kam Stand-Up-Paddle-Surfing. Jetzt Wingfoiling – das sind alles nur verschiedene Arten zu surfen.
Foto: Ben Moon
Kommen wir mal zu einem kontroversen Thema. In dem Film „Sea of Darkness“ von 2010, der mittlerweile von der Bildfläche verschwunden ist, erzählt Regisseur Michael Oblowitz, wie einige der bekanntesten Surfer deiner Zeit, viele davon deine Freunde, durch Drogenschmuggel ihr Leben in Indo finanzierten. Und manche so das Startkapital für die heutigen großen Brands, etwa Quiksilver, generierten. Auch du kommst in dem Film vor. Kennst du ihn?
Ja.
Erzählt er die wahre Geschichte?
Nein. Es ist ein winziger Ausschnitt aus der Zeit. So ist das heutzutage – alles wird skandalisiert. Mehr will ich dazu gar nicht zu sagen.
Ha! Das erste Mal, dass seine sonore, so selbstgewisse Stimme ein ganz klein bisschen lauter wird. Man kann sich auf einmal vorstellen, dass diese Zen-Schnurrkatze auch anders kann – aggressiv zum Beispiel. In dem Film kommen viele Freunde Gerrys zu Wort: Regisseur John Milius, Quiksilver-Gründer Bob McKnight und Jeff Hakman, Peter McCabe, mit dem Gerry G-Land pionierte, Martin Daly, der mit seinem Boot „Indies Trader“ die Mentawais für die Surfwelt erschloss. Sie alle erzählen sehr freimütig, wie selbstverständlich Surfpioniere damals harte Drogen geschmuggelt haben, um sich ihre Reisen zu finanzieren. Und dass sie alle mehr oder weniger genau das taten. Gerry auch? Keine Ahnung. Aber es scheint, als müsse er sich bei diesem Thema anstrengen, cool zu bleiben. Und das tut er auch. Ein lebenslanges Training in Yoga und Meditation zahlt sich aus.
Matt Warshaw schrieb über dich: „Lopez is the last mysterious man in surfing. You only see what he wants you to see.“ Stimmt das?
Keine Ahnung, was er damit meint... (lacht).
Na, dass du immer die Kontrolle über dein öffentliches Image behalten hast.
Nein, nein... Wie soll das denn gehen? Ich bin doch nur jemand, der gerne surfen geht, und alles was passiert ist, ist passiert?
Foto: Dan Merkel
Er meint wohl, dass du 60 Jahre lang eine bestimmende Figur der Surfszene warst und alles gesehen hast. Einer Szene, die in den 70ern als Teil der Counter Culture immer mit einem Bein außerhalb des Gesetzes stand. Und dass du eventuell trotz deiner selbstverfassten Biografie und trotz des Films „The Yin and Yang of Gerry Lopez“, den Stacy Peralta über dein Leben gemacht hat, die edgy Parts zurückhälst. Die dunkle Seite des Localism. Die Drogenkultur. Das Drogenschmuggeln.
Die ganze Story über Surfer, die Drogen schmuggeln, um zu überleben – klar. Ich war genau so. Nur dass ich Surfboards shapte. Surfer sind schlau. Sie finden immer einen Weg, um ihren Lifestyle zu finanzieren. Manche haben alles dafür riskiert. Haben ihre Freiheit verloren, wie man in „Sea of Darkness“ sieht. Das ist eine individuelle Entscheidung. Nicht-Surfer verstehen nicht, dass Surfen ein Weg ist, eine höhere Bewusstseinsebene zu erreichen. Und letzten Endes ist das unsere Bestimmung im Leben: Diese höhere Bewusstseinsebene zu erreichen. Sei es durch Yoga oder, wie in unserem Fall, wenn man das Surfen gefunden hat. Oder besser gesagt: Wenn Surfen uns gefunden hat. Wir sind glücklich, dass Surfen uns gefunden hat, oder?
Da kann ich als landlocked Deutscher, der Anfang der 90er 1.500 Kilometer weit getrampt ist, um das erste Mal auf einem Surfboard zu stehen, nur zustimmen. Gerry, vielen Dank für deine Zeit. Es war sehr spannend!
Und dabei habe ich doch gar nichts preisgegeben...
Natürlich nicht. Denn du bist „the last mysterious man in surfing“. Und das wird auch so bleiben.
Titelbild: Drew Kampion
Gerry Lopez zu Gast im Get Wet Soon Podcast
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