Bei Sturm und Regen sind Abwassersysteme der europäischen Küstenstädte oft überlastet, die Fäkalien laufen ins Meer. Ist das nur eklig oder auch gefährlich?

Ein Wintermorgen in Galicien. Die ersten Sonnenstrahlen erwärmen die grüne Küstenlandschaft. Überkopfhohe Wellen brechen an der Costa de Lugo. Eine Handvoll Locals ist zur Pampillosa gekommen, um in der Dämmerung den Swell zu checken. Nichts trübt die Idylle – fast nichts. „Wenn wir hier aus dem Wasser kommen, stinkt der Neoprenanzug manchmal nach Scheiße“, erzählt Oscar García. Man muss genau hinsehen: Eine schwarz schimmernde Pipeline führt genau dort ins Meer, wo die Surfer zum Line-up paddeln. „Regnet es viel, sind die Kläranlagen
überlastet und öffnen einfach ihre Schleusen“, sagt der Spanier. Alles fließt durch die Pipeline direkt in den Ozean. 

Sewage Surfing

Auch für Briten gehört Regen zum Alltag dazu. „Im Wasser riecht es dann oft nach Waschmitteln und Gully“, berichtet Phil Maynard, der ein kleines Hostel auf dem Kliff von Perranporth an der Südküste Englands betreibt. Die Surfschule von Laurence Coach liegt nur wenige Kilometer entfernt. Auch er kennt die Probleme mit der Wasserqualität: „Die Surfer hier haben häufig Ohreninfektionen“, erzählt Laurence. Die Berichte ähneln sich. Gestank und Infektionen nerven Surfer in regenreichen Regionen. 

Die Surfrider Foundation wollte es genau wissen und sammelte zusammen mit der University of California über zwei Jahre hinweg Gesundheitsdaten von 654 Surfern aus San Diego. Im Herbst vergangenen Jahres veröffentlichten sie die Ergebnisse: Im Durchschnitt wurden 30 von 1.000 Surfern krank, wenn sie bis zu drei Tage nach starken Regelfällen im Meer surfen gingen. Dahingegen wurden nur 18 von 1.000 Surfern krank, die in diesen Tagen nicht im Meer waren. 

In England zählten die Surfer bereits Anfang der 1990er-Jahre eins und eins zusammen: „Surfers Against Sewage wurde von einer Gruppe von Surfern gegründet, die zwischen Toilettenpapier und Fäkalien surften“, erzählt Andy Cummins, Campaign-Director der Umweltschutzorganisation. England kippte in jener Zeit sein ganzes Abwasser einfach unbehandelt ins Meer. „Auf Druck unserer Kampagnen und der daraus resultierenden EU-Auflagen wurde damals in ein landesweites Abwasser system investiert“, meint Cummins. Das hat die Situation deutlich verbessert, doch die Verschmutzung nicht gänzlich behoben. Das Problem: In vielen Entwässerungssystemenweltweit werden Regenwasser und Abwasser in einer Leitung zusammengeführt. „Bei starken Regenfällen können Kläranlagen die zusätzlichen Wassermassen nicht aufnehmen“, erklärt Cummins. Damit das Abwasser nicht rückwärts die Toiletten wieder hochgespült wird und die Häuser überschwemmt, gibt es Notausgänge: die sogenannten Mischwasserüberläufe. Werden diese geöffnet, fließt alles Wasser ungeklärt in Flüsse oder direkt ins Meer. 

Surfrider Barrel

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„Kurz nachdem es geregnet hat, würde ich nicht surfen gehen“, sagt Anne Leonard von der University of Exeter Medical School in England. Auch sie untersucht das Gesundheitsrisiko für Surfer und andere Badegäste durch Keime. „Mit dem Abwasser gelangen vor allem Bakterien und Viren ins Meer, die Magen-Darm-Beschwerden auslösen“, sagt die Epidemiologin. Auch die Surfer in Kalifornien erkrankten laut der Surfrider-Studie mehrheitlich an Durchfall und Erbrechen, ausgelöst durch Noroviren. Die Keime im Abwasser können aber auch Schleimhaut- und Ohrenentzündungen oder Hautreizungen hervorrufen, sagt die Forscherin. Sie findet zudem noch eine ganz besondere Art von Bakterien im Meer: gegen Antibiotika resistente Bakterien, auch als Krankenhauskeime bekannt. Warnungen vor dieser Art von Verunreinigung gibt es dennoch selten. „Ein Badestrand kann laut offiziellen Behörden exzellente Wasserqualität haben und trotzdem wird man krank“, sagt Anne Leonard. Laut der EU Badegewässerrichtlinie müssen Badestrände mindestens einmal im Monat auf ihre Wasserqualität kontrolliert werden. „In England werden die Wasserproben im Sommer zwar wöchentlich entnommen, allerdings teilweise mehrere Hundert Meter entfernt von der Verschmutzung“, erklärt Leonard. Findet der Test nicht gerade zufällig zum Zeitpunkt und am Ort einer Abwasserbelastung statt, bleibt diese unbemerkt.

„Bei uns führt der Überlauf direkt auf den Grande Plage“, empört sich Guillaume Barucq. Der französische Arzt ist nicht nur Surfer, sondern wurde vor drei Jahren auch zum stellvertretenden Bürgermeister für Umweltfragen der Stadt Biarritz an der französischen Atlantikküste ernannt. „Wir testen im Sommer täglich das Meerwasser und sammeln rund um die Uhr Daten über das Wetter, Strömungen und den Swell“, sagt Barucq. „Damit können wir in Echtzeit warnen, wenn es zu einer Verschmutzung kommt“, erklärt der Franzose. Mit der App „Biarritz Infoplages“ kann jeder die Infos mobil abrufen. Weltweit seien sie damit Pioniere auf diesem Gebiet, sagt er. Doch selbst in Biarritz wird die Wasserqualität bisher nur zur Touristensaison in den Sommermonaten gemessen. Die restlichen Monate sind die Surfer auf sich allein gestellt. Fehlt ein geeignetes Alarmsystem, raten die Autoren der Surfrider-Studie, nach Regenfällen mindestens 72 Stunden abzuwarten. Vor allem Strände mit Flussmündungen sollten gemieden werden, empfiehlt Anne Leonard. Hier sei das Risiko für Verunreinigungen besonders hoch. 

Wer mehr zu dem Thema erfahren will: Inka Reicherts Film „White Waves“ geht der Verschmutzung unserer Strände auf den Grund.

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Credits:

Text: Inka Reichert

Bild: Surfrider Foundation & Surfers Against Sewage