Letzte Nacht gewann Gabriel Medina den Billabong Pro Tahiti 2014. Doch das interessierte nur am Rande - der Star dieses Contests war die Welle. Teahupoo ist so fotogen, die Lippe so schrecklich-schön, dass man eigentlich auch ohne surfende Menschen stundenlang zusehen könnte, wie sich ein glassy Set nach dem anderen an der Riffkante hochsaugt und zwei Meter unter Meerespiegel detoniert. Eventuell wird es ja mal soweit kommen, wenn die Surfindustrie eines Tages gänzlich pleite ist und die Kohle der ASP gerade noch für stationäre Webcams an den ehemaligen Tourstopps reicht. Diesmal war die Top 36 allerdings noch am Start - daher folgen hier die wichtigsten Erkenntnisse aus dem wahrscheinlich betörendsten Contests der WCT-Geschichte.

 

1. Die Water Patrol verfälscht die Ergebnisse: Teahupoo ist eine krasse Welle - doch mehr als die halbe Miete kann man allein durch die Überwindung, sich die vertikale Wand hinunterzustürzen, einfahren. Jede zweite Röhre wird schon offen bleiben. Dieser Schritt erscheint einem sicherlich machbarer, wenn in der Inside schon die Jet Skis warten. Dion Atkinson, Tiago Pires, Brett Simpson... Namen, die man in 12-Fuß-Teahupoo nicht am Finaltag sehen würde, wenn sie nach einem Wipeout mit eigener Kraft aus der Impact-Zone paddeln müssten. Die Top Dogs dagegen nehmen die Hilfe kaum in Anspruch, weil sie das Auge für die richtige Wellenauswahl haben. Dieser Vorteil wird durch die motorisierte Hilfe verwässert. Der Hauptgrund für den Einsatz der Water Patrol ist dabei gar nicht die Sorge um die Gesundheit der Pros. Die Veranstalter wissen vielmehr, dass besonders die Nicht-Surfer unter den Zuschauern (und die will die neue ASP ja verstärkt gewinnen) minutenlanges Duck Diven gar nicht unterhaltsam fänden... Wir sagen: Back to the Roots - Man vs Nature! 

 

2. Joey Turpel und Pottz sind Menschen. Schön zu erleben, dass angesichts eines so atemberaubenden Naturschauspiels wie Teahupoo sogar die beiden ASP-Sprech-Roboter Joey Turpel und Martin Potter kurzfristig aus dem Tritt kamen. Wir waren erst irritiert, dann erfreut: Nach den übelsten Wipeouts (etwa dem von Owen im Quarterfinal) drang jeweils nichts als schweres Atmen aus den Boxen, bis das Opfer schließlich auftauchte. Und Kellys 10 im Semifinal ließ Joey sogar kurz hysterisch kieksen. Echte Gefühle dieser verklemmten Kommentatoren, die vor lauter Angst, aus Versehen "Fuck" zu sagen, so unnatürlich rüberkommen wie Mathias Opdenhövel - darauf mussten wir (oder vielmehr: sie?) lange warten. Willkommen in unserer Mitte, Joey und Pottz! Bei Strider Wasilewski dagegen scheint es keine Hoffnung mehr zu geben.

 

3. Kelly Slater ist der Beste. Wie vermutet kann niemand Kelly stoppen, wenn die Wellen gut sind - außer ihm selbst. Und so kam es im Finale gegen Medina: Hätte Kelly nicht im ersten Drittel unkonzentriert die Priority verloren, nachdem er eine Welle anpaddelte und wieder zurückzog - es wäre seine große Abschluss-Show geworden. So hatte Medina die Kontrolle und Slater musste nachlegen - was er sogar fast geschafft hätte (es fehlten 0,03 Punkte). Aber bis zum Finale: Eine einzige Machtdemonstration. Kelly hatte die größten Wellen, war am tiefsten in der Barrel und surfte sie technisch am saubersten. Niemand flirtete so voller Kontrolle mit dem Foamball wie der Meister auf seinem 6'1 (!) Quad. In JEDEM Heat siegte er mit mehr als 19 Punkten. Dabei hatte man nie das Gefühl, dass er seine Gegner überhaupt wahrnahm - er surfte einfach. So gut wie er konnte und in Einklang mit der Natur. Er gönnte seinen Mitsurfern ihre Wellen - wohlwissend, dass er sie sowieso abhängen wird. Ganz groß!

 

4. Gabriel Medina ist ein Fußballer. Keine Frage: Medina hat das Zeug, Weltmeister zu werden. Ein geniales Bewegungstalent mit perfekter Antizipationsgabe, der in den meisten Situation die richtige Wahl trifft: Turn, Tube, Air - er baut sich seine Scores unaufhaltsam zusammen. Dazu kommt ein lodernder Ergeiz, der ihn zu einem unangenehmen Gegner macht - und damit sind wir beim Problem:

Surfen ist anders als Fußball. Oder kann man sich vorstellen, dass Ronaldo in Slater-Manier (s.o.) die Gegner passieren lässt, weil er ja eh gleich zehn weitere Tore schießen wird? Surfen bedeutet: Die Herausforderung, einen besonders schicken Tanz auf unberechenbarem Untergrund abzuliefern. Mann gegen Welle. Nicht Mann gegen Mann, wie uns die ASP in ihrer Gladiatorenhaften Inszenierung der Worldtour weißmachen will (und damit Tausenden von Groms die falschen Werte eintrichtert). Die Medinas der Welt verstehen das nicht. Für sie ist surfen Wettkampf, Sport. Und da ist eine provozierte Interference des Gegners genau so viel Wert wie die eigene Traum-Barrel. Ein dreckiger Sieg halt, wie ein geschundener Elfmeter, von dem nach dem Spiel keiner mehr redet.

Doch wie wird ein Worldchamp Medina Surfen repräsentieren? Weder mit der Weltoffenheit eines Slater, noch dem britischen Sportmanship von Fanning oder Parko. Und schon gar nicht mit der megalomanen Punk-Rock-Attitude, mit der Andy Irons erst die Jugend und dann sich selbst entflammte. Medina erinnert eher an die Fußballer seiner Generation: Formelhafte Antworten, gedankt wird Mutti und dem lieben Gott. Bald küsst er - in Ermangelung eines Clubwappens - seine Sponsorenlogos. Dazu kommt ein Denken in Nationen-Rastern, wie man es von jeder beliebigen Sportart kennt - und wie es die reisenden Surfer von einst unbedingt überwinden wollten. One tribe, no nation!

 

Surfen ist anders als Fußball. Hier geht es um einen Tango mit dem Ozean. Nicht 0.03 Punkte mehr oder weniger. Für viele Zuschauer heißen die Gewinner des Tahiti Pro daher John John, Owen Wright und Kelly Slater - weil sie die krassesten Wellen mit der größten Grazie surften.

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- Jens Steffenhagen

 Tahiti Hl

 

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Der Star des Billabong Pro Tahiti: Teahupoo. Foto: ASP/ Kirstin